Das Städtische St.-Anna-Gymnasium blickt auf eine lange Geschichte zurück. Architekt der 1911/1912 errichteten, ursprünglich Höheren Mädchenschule war der Baurat Robert Rehlen. Mit dem Erweiterungsbau Hans Leitenstorfers aus dem Jahre 1930 an der Liebigstraße erfuhr der Nordflügel eine bauliche Ergänzung.
Nach fast hundert Jahren entsprach das denkmalgeschützte Gebäude in vielerlei Hinsicht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Es galt das erhebliche Raumdefizit zu beheben, neue Brandschutzauflagen baulich umzusetzen, zwei zusätzliche Treppenhäuser zu errichten, die vorhandenen Stahlträgerdecken in Teilbereichen zu verstärken und auch eine weitgehende Barrierefreiheit herzustellen.
Da Räume zur Auslagerung der Schule während der Baumaßnahme fehlten, wurde der Umbau bei laufendem Betrieb in vier, auf den Schuljahreszyklus abgestimmten Bauabschnitten durchgeführt. Dabei wurden besonders lärm- und schmutzintensive Arbeiten so weit wie möglich in die Ferienzeiten verlegt.
Dem Münchner Architektenteam Karl + Probst gelang es, unter Berücksichtigung der Qualitäten des Bestands, neue architektonische Akzente zu setzen und das Schulgebäude nach außen zu öffnen. Der sensible Umgang mit der alten Substanz und die gelungene Symbiose von Alt und Neu verleihen dem Schulgebäude einen zeitgemäßen Charakter. Die raumhohen Flurverglasungen des aufgeständerten Erweiterungsbaus ermöglichen neue Sichtbeziehungen und eine visuelle Einbindung in die Umgebung.
Mit sechs zusätzlichen Klassenzimmern dient der Erweiterungsbau der Verbindung zwischen dem Süd- und dem Nordflügel und ermöglicht eine ringförmige Begehbarkeit im ersten und zweiten Stock. Weiterer Raum wurde durch einen teilweisen Dachausbau im Bestandsgebäude gewonnen, wo zwei neue Musiksäle und die Hausmeisterwohnung untergebracht sind. Die neu geschaffenen Fachlehrsäle im dritten Obergeschoss sind mit modernster Technik ausgestattet und verfügen über die geforderten Schülerexperimentierplätze. Die durch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums entstandenen zusätzlichen Funktionsanforderungen wie Nachmittagsbetreuung und Essensversorgung wurden realisiert. Die neue Schulmensa im Souterrain des Südflügels kann den vorhandenen Lichthof als Freifläche nutzen.
Das Schmuckstück der Schule ist die im Nordflügel gelegene zweigeschossige, neuklassizistische Aula. Ein Teil der bei den Sanierungsarbeiten vorgefundenen ursprünglichen farbigen Deckengestaltung wurde im Bereich der Seitengalerie freigelegt und zeigt hier unterschiedliche Restaurierungszustände.
Im Rahmen der Generalsanierung wurde eine landesweit einzigartige technische Anlage in der Schule realisiert: der Einbau eines Wasserkraftwerkes:
Baurat Rehlen errichtete das St. Anna-Gymnasium am Standort der ehemaligen Stadtsäge, die bis 1910 betrieben wurde und die benötigte Energie mit vier Wasserrädern im Gerinne des Stadtsägmühlbaches gewann. Mit dem Schulbau verschwand zwar das Sägewerk, der Bach floss jedoch weiterhin unter dem Gebäude hindurch. Schalldämmende Verglasungen im zentralen Treppenhaus der Schule ermöglichen den Blick auf das neue 20-Kilowatt-Wasserrad, das die Fließenergie des Baches unter dem Schulgebäude zur Strom- und Wärmeerzeugung jetzt wieder nutzt. Rund 170.000 Kilowattstunden Strom werden pro Jahr in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Die Abwärme des Generators kommt der Beheizung der schuleigenen Bibliothek zugute.
Das filigrane Kunst-am-Bau-Projekt von Martin Dessecker greift die Energiegewinnung im Gebäude symbolisch auf. Ein "roter Faden" verbindet Kraftwerk – den Energieerzeuger – und die (Leucht-) Objekte – die Energieverbraucher – in verschiedenen Bereichen der Schule. Im Rahmen des Kunstunterrichts kann die vom Künstler geschaffene Installation verändert oder ergänzt werden.
Text: Johannes Gleissner (Baureferat)