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Doppel-T-Traeger |
Im Gegensatz zu Aaron Betsky's - angesichts der unpersoenlichen Urbanisation - eher pessimistisch gefärbten Ausstellung in 2008, setzt Kazuyo Sejima wieder Vertraün in die Architektur als künstlerische Disziplin, Lebensräume zu schaffen, in denen sich der Einzelne verwirklichen und Gesellschaft sich entwickeln kann.
Unter diesem erstaunlich emotionalen Thema sind viele ausgesprochen sinnliche Beiträge entstanden. Zu unseren Favoriten zählen dabei von den Arbeiten im Arsenale die von Olafur Eliasson, der Wassertropfen im gleissenden Stroposkoplicht erstarren lässt, die Beiträge von Peter Ebner (ein auskragender Steg aus transluzentem Beton), eine begehbare Stahlspirale, die sich in den Nebel schraubt sowie zwei überdimensionale aufeinander liegende Doppel-T-Träger. In den Giardini begeisterten uns insbesondere der Kanadische Pavillion (Philip Beesley) sowie der Beitrag von Rem Kolhaas, welcher am Samstag mit dem goldenen Loewen für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.
Der Deutsche Pavillion 2010
Gemäss des Gesamtmottos der diesjährigen Biennale, ist auch der deutsche Beitrag emotional motiviert: "Jede kreative Arbeit beginnt mit Sehnsucht und endet mit ihr." Dieses Statement ist die Grundlage des Konzeptes der Walverwandschaften (Cordula Rau, Eberhard Troeger und Ole W. Fischer), die als diesjährige Generalkommissare für den deutschen Beitrag verantwortlich sind. Sie machten den deutschen Pavillion zu einem Ort der Sehnsucht und setzen auf das sinnliche Erleben dieses umstrittenen Bauwerks. Anstatt konkrete Projekte in Form von Plänen und Modellen zu präsentieren, fokussieren sie auf die Personifizierung und Emotionalisierung der aktüllen deutschen Architekturszene.
Die Walverwandschaften baten mehr als 300 Architekten und Kulturschaffende DIN A4-Skizzen einzureichen, die ihre Sehnsucht darstellen. Sie zeigen die persoenliche Interpretation von Sehnsucht, als wichtige Triebfeder kreativen Schaffens. Die 181 gleichformatigen Beiträge reichen von assoziativen Auseinandersetzungen, über kritische und politische bis zu humorvollen Kommentaren; Zeichnungen, die von der mathematischen Sehnsuchtsformel (Benedikt Schmitz und Maike Lück, Hamburg) über Türme aus geschwungenen Linien (Wiel Arets, Amsterdam) bis zu Schmetterlingspaaren mit filigran ausgeformten Flügeln (Andreas Hild und Dionys Ottl, München) reichen. Eines ist allen gemeinsam: das Verlangen nach etwas Unausgesprochenem...
Statt den deutschen Pavillion als Nazibauwerk abzureissen, wie noch vor kurzem diskutiert wurde, ist bei diesem Konzept der Pavillion selbst als Ausstellungsstück konzipiert und wird mit rubinroten und verspiegelten Wänden (hergestellt von Eternit) sowie einem wehenden Vorhang zum Meer als Ort der Sehnsucht in den Gärten Venedigs inszeniert. Sowohl den roten Stoff für die weiche Bespannung der Wände des Hauptsaals, als auch für die Knoll-Sessel von 1956, die über den gesamten Raum verteilt sind, hat das venezianische Familienunternehmen Rubelli eigens für diesen Zweck hergestellt. Gemeinsam mit den vielen Skizzen, die in dunklen Holzrahmen gleichmässig über die Wände verteilt sind, macht das tiefe Rot den Saal zu einem zeitgenoessischen Salon, der bis zum Ende der Biennale als Veranstaltungs- und Begegnungsstätte dienen wird. Die kleineren Seitenräume sollen als emotionale Kabinette inspirierend, irritierend und provozierend wirken. Auch wenn diese ihr Ziel nicht ganz erreichen, so erweckt der wieder neu geschaffene Zugang zur nahe gelegenen Terrasse am Wasser mit Blick auf die Lagune in jedem Fall Sehnsüchte.
Am Freitag Vormittag luden Jan Mücke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie zwei der drei Generalkommissare zur Pressekonferenz. Auffällig erfrischend und im Grunde sehr "undeutsch" war diese eher als Empfang konzipiert. Statt in strengen Stuhlreihen nahmen wir in den besagten Sesseln Platz und wurden von einer geheimnisvoll maskierten Musikerin mit Akkustikgitarre und Sehnsuchtshauch-Gesang (Ida-Marie Corell mit ihrem musikalischen Projekt IMCakaLLEROC) begrüsst. Der Staatssekretär als offizieller Gastgeber brachte das Konzept der Generalkommissare auf den Punkt, indem er die Frage stellte: "Was ist es, was den Architekten immer wieder antreibt, diesen Beruf mit seinen vielen schwierigen Abläufen zu bewältigen? Ist es die Sehnsucht, die dies moeglich macht?"
Auch wenn Konzept und Realisierung umstritten sind, sollte sich jeder einen einen Besuch goennen, um sich ein eigenes Bild der diesjährigen Architekturausstellung zu machen.
Wer es gar nicht schafft, nicht mal zu einem der Architecture Saturdays mit den ehemaligen Gesamtkommissaren (beginnend am 4.September) oder zu den am 23. September beginnenden Workshops im deutschen Pavillion (wir werden die einzelnen Termine in unseren Veranstaltungen ankündigen), dem empfehlen wir den Onlinekatalog iBiennale, die erste Biennale-iPad-application oder zum deutschen Beitrag die beiden im Springer Verlag erschienenen Bücher:
Sehnsucht.The Book of Architecture Longings. German Contribution to the 12th international Architecture Exhibition - La Biennale di Venezia 2010, welches das Konzept beschreibt.
What Architects Desire, welches alle 181 eingereichten Skizzen unter Nennung der Verfasser zeigt.
http://www.labiennale.org/
Regine Geibel und Alexandra Riemann
Fotos Regine Geibel