Augusta Müller Die Ausstellung in den Neuen Werkstätten trägt den Titel „Less is Design" und zitiert damit Mies van der Rohe und den Minimalismus. Würden Sie Ihre Entwürfe dem Minimalismus zuordnen?
Piero Lissoni Minimalist zu sein, bedeutet streng zu sein: Streng im Gebrauch der Materialien, streng bei ästhetischen Entscheidungen, streng jedoch vor allem in Bezug auf Kohärenz. Ich sehe mich jedoch nicht als Minimalist: In meinen Entwürfen bin ich in keinem bestimmten Käfig gefangen, sondern frei. Ich glaube eher, dass meine Entwürfe kontaminiert sind.
AM Was meinen Sie damit?
PL Es sind Entwürfe mit vielen Verbindungen. Mir gefällt die Idee, dass keine begrenzten Welten existieren. Es ist möglich, verschiedene Kulturen zu vermischen: Ich bin zwar in Italien geboren, aber meine Kultur ist kontaminiert - wir könnten nicht die sein, die wir sind, wären wir nicht von Deutschland, Frankreich, Russland und Arabien kontaminiert. Insofern gefällt mir die Vorstellung, dass mein Werk kontaminiert ist.
AM Welche Gestalter in diesem Zusammenhang Ihre Vorbilder?
PL Mies van der Rohe hat zwar eine bedeutende Rolle in meiner Arbeit gespielt, aber es gibt noch andere wichtige Vorbilder: Charles Eames, Vico Magistretti, Achille Castiglioni, Ettore Sottsass. Ettore war zwar nicht minimalistisch, für mich persönlich war er jedoch fundamental wichtig.
AM Welchen aktuellen Designer bewundern Sie?
PL Da gibt es sehr viele. Zwei, von denen ich mit Sicherheit glaube, dass sie grundlegenden Einfluss auf das aktuelle Design haben, sind Jasper Morrison und Philip Starck.
AM Könnten Sie sich mit so jemandem eine Kooperation vorstellen?
PL Wir mögen uns wirklich sehr gerne. Ich habe Philip viele Male gebeten, Dinge für mich zu tun und auch umgekehrt. Ich entwerfe seit vielen Jahren, und jedes Mal, wenn wir eine Präsentation vorbereiten müssen, stellen wir uns die Frage erneut. Aber es ist nicht einfach, zwei Primadonnen den gleichen Tanz auf demselben Ball tanzen zu lassen. Insofern ist es viel besser, Freunde zu sein.
AM Ihr Büro in Mailand ist in den Bereichen Architektur, Industriedesign, Grafikdesign, Yachtdesign und noch weiteren Disziplinen tätig. Welchem Bereich widmen Sie selbst sich am intensivsten?
PL Allen. Im Augenblick begeistere ich mich allerdings sehr für die virtuelle und konzeptionelle Idee der Architektur. Momentan entwerfe ich viel konzeptuelle Architektur, weil mir die Vorstellung gefällt, dass sie mir beim Entwerfen generell hilft.
AM Auf welchen Entwurf sind Sie am meisten stolz?
PL Besonders stolz bin ich auf alle Entwürfe, die mir misslungen sind. Oder besser: auf meine falschen Entwürfe, auf meine fehlerhaften Entwürfe, auf die Entwürfe, die erfolglos waren. Ich vernichte sie nicht, ich leugne sie nicht. Es sind vielleicht nicht die schönsten Entwürfe, aber mit Sicherheit jene, an denen ich am meisten hänge.
AM Existieren Entwürfe, die aus irgendwelchen Gründen nicht realisiert worden sind, und an denen Ihr Herz hängt?
PL Nein. Ein nicht realisierter Entwurf ist wie ein nie geborenes Kind. Ich kann nicht an einer Person hängen, die nicht existiert. Ich kann an einer Idee hängen. Ideen sterben jedoch nicht, sie entwickeln und verändern sich, bis sie zu etwas anderem werden.
AM Steckt in Ihren Entwürfen neben dem funktionalen und ästhetischen Anspruch auch ein politisches Statement?
PL Nein, ich glaube, das politische Statement besteht darin, ehrlich und kohärent zu sein. Darüber hinaus habe ich nichts anderes zu sagen. Ich will die Materialien in der bestmöglichen Weise und in der besten Quantität nutzen. Ich habe kein Interesse daran, mich mit green economy oder sustainability zu schmücken.
AM Design muss also gar nicht politisch sein?
PL Ich glaube, Design IST aus einem ganz einfachen Grund sehr politisch: Als Industriedesigner habe ich Verantwortung - nicht nur gegenüber dem Konsumenten, sondern auch gegenüber den Herstellern, mit denen ich zusammenarbeite.
AM Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer mitgeben?
PL Keine Ausbildung als Industriedesigner zu absolvieren, sondern Architektur zu studieren. Zuerst als Architekt zu arbeiten, und erst danach anzufangen, sich mit Design zu beschäftigen. Und: sich nicht zu spezialisieren - das Konzept der Spezialisierung kommt aus England, wo sie nicht in der Lage sind, humanistische Bildung in der Schulen zu vermitteln. Wir Europäer sind seit jeher Generalisten. Nun haben diese Idioten von Microsoft das multitasking entdeckt. Aber nur weil sie Idioten sind. Insofern würde ich jedem Studenten raten, Generalist zu sein.
AM Woher kommt Ihre schlechte Meinung über das Industriedesignstudium?
PL Das Studium setzt falsche Akzente: Viel wichtiger als Spezialisierung ist die Vermittlung von Bildung und Kultur. Die Spezialisierung erfolgt im training on the job, im Berufsleben und während des Entwerfens. Das Studium dagegen muss einem beibringen, neugierig zu sein - und nicht ein falscher, junger Designer, oder ein falscher junger Architekt. In diesen Dingen bin ich sehr streng: Mir ist es wichtig, dass ein Architekt, Industriedesigner oder Grafikdesigner, der mit mir arbeitet, mir etwas über Andy Warhol, ein Gedicht von Schiller oder über die Reiseerzählungen von Goethe erzählen kann. Ich habe kein Interesse daran, etwas Angelerntes aus dem Industriedesignstudium zu hören.
AM Warum schließt das eine das andere notwendigerweise aus?
PL Weil man in dieser Welt radikal sein muss. Mir geht es um Kultur. Nicht oberflächliche, sondern echte Kultur. Erst danach interessiert mich der technische Gebrauch.
Foto von Hannes Magerstädt