Zeitgenössische Architektur in Bayern

„Ein Leben für die Architektur“. Der Fotograf Julius Shulman

April 2011 | Knapp zwei Jahre nach seinem Tod erstmals wieder in Deutschland zu sehen: Julius Shulman (1910–2009) zählte nicht nur zu den Großen der Architekturphotographie, er hat sie sogar mit erfunden. Ein Rückblick von Jochen Paul

In den über 70 Jahren seines Berufslebens hat er die bedeutendsten Werke der amerikanischen Architektur des 20. Jahrhunderts dokumentiert. In Augsburg umfasst das Spektrum seiner Arbeiten die legendären Aufnahmen der Case Study Houses von Richard Neutra und Pierre Koenig ebenso wie Beispiel aktueller Bauten von Richard Meier und Frank O. Gehry.

Während nicht wenige Fotografen durch eine einzige Aufnahme bekannt wurden – viele Bauhaus-Fotografen waren solche „One Shot Photographer“ –, wurde Julius Shulman als „Mr. One Shot“ berühmt, weil er jedes Motiv nur ein einziges Mal abgelichtet haben soll. Für dieses eine Foto entwickelte er eine akribisch genaue Vorstellung, wie er das jeweilige Haus und seine Umgebung inszenieren wollte, bereitete sich stunden-, oft auch tagelang vor, führte Gespräche mit dem Auftraggeber und wartete geduldig auf den richtigen Lichteinfall, den exakten Schatten und die perfekte Ausleuchtung bestimmter Winkel des Innenraums.

Nachdem er sich an der Universität versucht hatte, ohne dort Erfüllung zu finden, begann Julius Shulman Anfang der 1930er Jahre mit einer Vestpocket-Kamera zu fotografieren, und arbeitete Mitte des Jahrzehnts bereits für die Heroen der kalifornischen Moderne. Dank seiner Fotos und wurden Richard Neutra, Pierre Koenig, Rudolf Schindler und andere Architekten der amerikanischen Moderne einem breiten Publikum bekannt. „Public Relations für Architekten“ nannte Shulman das – eine Zusammenarbeit, von der beide Seite profitierten.

Die letzten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs verbrachte er als Fotograf bei der U.S. Army, danach konnte er seine Karriere nahtlos fortsetzen: Der Bauboom der Nachkriegszeit fiel mit der Blütezeit der kalifornischen Moderne zusammen, auf deren Höhepunkt John Entenza, der Herausgeber von „Art & Architecture“, sein Projekt der „Case Study Houses“ startete. Das Magazin ermöglichte es der Architekturfotografie, endgültig die Grenzen der Architekturfachzeitschriften hinter sich zu lassen.

Mit dem Aufkommen der Postmoderne, deren Architektur ihn nicht interessierte, unternahm Shulman einen Versuch, sich zurückzuziehen, kehrte aber mit weit über 90 Jahren an der Seite seines Partnerfotografen Jürgen Nogai zurück – der Ruhestand war seine Lebensform nicht. Zur Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt anlässlich seines 95. Geburtstags 2005 war Julius Shulman noch persönlich angereist, 2007 konnte ich für die „Bauwelt“ mit ihm ein Fern-Interview per Email führen.

Sie gelten als „Self-educated Photographer“. Wer hat Sie beeinflusst?

Ich habe 1926 mit 16 Jahren und einer Kodak Box Camera angefangen zu fotografieren: Ich hatte einen Kurs über die Grundlagen der Fotografie belegt und ging zum Hürdenrennen meiner High School ins Los Angeles Colliseum. Das Foto, das ich dort gemacht habe, von einem Standpunkt oberhalb der Startblöcke, gilt mit seiner ungewöhnlichen Perspektive immer noch als eine der besten Aufnahmen eines Hürdenrennens. Die Arbeit von Kollegen – viele davon gab es ohnehin noch nicht in den 1930er Jahren – hat mich nie wirklich beeinflusst; wohl aber der Gedankenaustausch mit vielen der Architekten, für die ich gearbeitet habe. Meine Entwicklung verlief ja ab 1936 parallel zur Karriere der Vertreter der kalifornischen Moderne: Vor allen anderen Richard Neutra, aber auch Gregory Ain, J.R. Davidson, Albert Frey, Harwell Harris, Pierre Koenig, Rudolph M. Schindler und Raphael Soriano. Außerdem verdanke ich meiner Kindheit – ich bin auf einer Farm in Connecticut aufgewachsen und habe als Pfadfinder viel Zeit in der Natur verbracht – wahrscheinlich das Verständnis für Licht und Maßstab.

Was hat Ihnen Ihr Studium gebracht?

In den sieben Jahren, die ich an der Universität verbracht habe, habe ich Kurse besucht, die mich persönlich interessiert haben. Als ich per Zufall Richard Neutras „Kun House“ fotografierte, gefielen ihm die Aufnahmen so gut, dass er mich vom Fleck weg engagierte und weiterempfahl. Insofern brauchte ich kein Studium.

Welche Rolle spielten die Magazine und die Wochenendbeilagen der Tageszeitungen für Ihre Arbeit?

„Publicity“ war von Anfang an ein wichtiger Aspekt meines Erfolgs: Die meisten meiner Arbeiten wurden in Publikumszeitschriften veröffentlicht. Damit erreichten meine Fotos eine Leserschaft, die sich eigentlich nicht für moderne Architektur interessierte. Über diese Magazine wurde die klassische Moderne als begehrenswert inszeniert und verbreitet, und nicht wenige Architekten verdanken ihren Erfolg meinen Fotos. Wahrscheinlich habe ich mehr Architektur verkauft als die meisten von ihnen zusammen.

Wie haben Sie diejenige Architektur „verkauft“, die nicht in Magazine wie „Arts & Architecture“ passte?

Meine Kunden waren nicht nur Architekten, die Wohnhäuser gebaut haben, ich habe auch Schulen, Bibliotheken, Kirchen und Fabriken fotografiert, die dann in der Fachpresse veröffentlicht wurden.

Warum haben Sie sich Mitte der 80er Jahre aus dem Berufsleben zurückgezogen, und was war der Grund für Ihr „Comeback“ zusammen mit Jürgen Nogai?

Damals bekam ich unglaublich viele Anfragen von Verlagen, und die Arbeit an den diversen Buchpublikationen ließ es nicht zu, nebenbei noch zu fotografieren. Außerdem hatte ich mich daran gemacht, mein Archiv zu ordnen. Als ich – ich glaube, es war 2001 – Jürgen Nogai kennenlernte, habe ich schnell festgestellt, dass es zwischen uns eine gemeinsame Wellenlänge gibt. Also fing ich wieder an zu arbeiten, und wir haben seitdem viel zeitgenössische Architektur fotografiert.

Mit welchen Kameras arbeiten Sie?

Ich begann meine Laufbahn mit einer Kodak Vest Pocket Camera. Später habe ich mir eine 4“ x 5“ Fachbodenkamera von Sinar gekauft, die komplett verstellbar war, und seit mittlerweile 70 Jahren arbeite ich mit Sinar.

Benutzen Sie Digitalkameras?

Nein, wir arbeiten seit eh und je analog, unsere Aufnahmen entstehen über die Komposition und die Lichtführung. Digitalfotografie bietet vielleicht viele Möglichkeiten, Layers und Editing-Tools, endet aber meistens in nachbearbeiteten Photoshop-Dateien. Sowohl Jürgen als auch ich können damit nichts anfangen.

Fotografieren Sie lieber in Farbe oder Schwarz-Weiß?

Sowohl als auch: In Bezug auf Ästhetik und Bildsprache kann ich dabei keine fundamentalen Unterschiede erkennen. Während die meisten Magazine heutzutage Farbabbildungen haben wollen, bevorzugen viele Architekten immer noch Schwarz-Weiß. Bei den meisten unserer Aufträge machen wir von jeder Einstellung Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen.

Welche Bedeutung haben Menschen für Ihre Fotografie – außer als Bezugsgröße für die abgebildete Architektur?

Im OEuvre vieler meiner Kollegen vermisse ich den Aspekt, dass Gebäude von Menschen genutzt werden. Bei meiner Arbeit sind Menschen ein wichtiger Teil der Komposition: Sie blicken nicht in die Kamera, sondern sind mit irgendetwas beschäftigt – da mit „erwecke ich die Fotografie zum Leben“.

Haben Sie ein Lieblingsfoto?

Nein – ich liebe sie alle.

Jochen Paul