Zeitgenössische Architektur in Bayern

Kreativen Raum schaffen | Das Kreativquartier Dachauer Straße

Juni 2011 | Eingeladen zum „kick off-meeting“ hatten das Kulturreferat und das Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt gemeinsam – aber das war nicht das einzig Ungewöhnliche an der Veranstaltung in der „schwere reiter“ am 30. Juni. Ein Rückblick von Jochen Paul

Eingeladen zum „kick off-meeting“ hatten das Kulturreferat und das Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt gemeinsam – aber das war nicht das einzig Ungewöhnliche an der Veranstaltung in der „schwere reiter“ am 30. Juni.

Ungewöhnlich ist auch, dass mitten in München ein neues Stadtquartier entsteht, in dem Kunst, Wohnen, Arbeiten keine Gegensätze sein sollen – und dass es das Kulturreferat war, das die Entwicklung in den letzten Jahren vorantrieben hatte: Vielleicht, weil sie am ehesten wussten, welche Potenziale auf dem Areal zu heben sind: ab 2000 hatten die Münchner Kammerspiele wegen der Sanierung ihres Haupthauses bereits einmal drei Jahre lang in der – damals dafür aufwändig sanierten – Jutierhalle (Ernst Henle, 1926) an der Dachauer Straße als Ausweichquartier gastiert. Bewegung in das Projekt kam jedenfalls erst, nachdem ein innerstädtischer Alternativstandort für den Winterdienst des städtischen Bauhofs gefunden war, der bis vor kurzem das Gelände für seine Streu- und Schneeräumfahrzeuge genutzt hatte.

Jetzt also soll das Überplanungsareal zwischen Leonrodplatz, Dachauer, Schwere-Reiter-, Infanterie-, Heß- und Lothstraße nach dem Vorbild der Münchner Gewerbehöfe zu einem Kreativquartier entwickelt werden. Mit der ehemaligen Jutier- und der Tonnenhalle sollen dafür zwei wertvolle, seit 1992 denkmalgeschützte Industriebauten für eine attraktive Nachnutzung adaptiert werden; die Quartiersbildung ist dabei als offener Prozess angelegt: Die potenziellen Nutzer des zukünftigen Kreativquartiers sind explizit eingeladen, sich aktiv an der Planung zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund diskutierten Kultur- und Planungsreferat Ende Juni mit potenziellen Nutzern aus Kunst, Kultur- und Kreativwirtschaft, um für das Quartier ein Entwicklungskonzept zu schaffen.

Das Grobkonzept dafür steht freilich seit dem Stadtratsbeschluss vom 28. Juli 2010: ein Quartier, das die Arbeitsbedingungen von Akteuren der Kreativwirtschaft und von professionellen Künstlern verbessert, soll es werden; ein Ort, an dem bildende Künstler, Theatermacher und Performer, Tänzer und Musiker, Grafiker, Designer und Webgestalter, Kleinverleger und Medienkünstler kreativ tätig werden können.

Nach der offiziellen Begrüßung durch Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers und Stadtdirektorin Susanne Ritter vom Planungsreferat referierte Eva de Klerk über das Entstehen und die Strukturen der Amsterdamer NDSM-Werft, einer auf drei Etagen zum Kulturzentrum für 500 „Bewohner“ umgebauten früheren Schiffswerft, Stuba Nikula aus Helsinki über die Nokia Kaapeli Creative Factory und das Kreativareal Suvilathi – ein ehemaliges Kraftwerk.

Bertram Schultze stellte ebenfalls zwei Projekte vor: die Leipziger Baumwollspinnerei vor, ein bis zu 125 Jahre altes, teilweise bis zum Jahr 2000 industriell und seither nach und nach als Kulturstandort genutztes Industriegelände mit der einstmals größten Spinnerei des Kontinents, sowie „Auf AEG“ in Nürnberg, ein seit letztem Herbst langfristig zu sanierendes Stadterneuerungsgebiet mit ebenfalls kulturellem Fokus.

Zum Münchner Gelände präsentierte Markus Bader von raumlaborberlin Ansatzpunkte für eine Rahmenplanung als Ort der Kreativität in der Stadt: Raumlabor Berlin ist kein Architekturbüro, sondern eine Interessengemeinschaft, die in der Architektur gemeinsame Ziele verfolgt – und sich außerdem mit Landschaftsarchitektur, Städtebau, Aktion, Gestaltung des öffentlichen Raumes und künstlerischen Installationen beschäftigt.

In der anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Kreativen Raum schaffen“ stellte sich aber schnell heraus, dass diese Beispiele zwar lehrreich, aber nicht unmittelbar auf die Situation vor Ort anwendbar sind. „München“, sagte Kulturreferent Hans-Georg Küppers, „unterscheidet sich von allen diesen Projekten und auch von Ruhrgebiets-Initiativen, die ich kenne, in einem entscheidenden Punkt: Dort ist man froh, dass auf städtischen Brachflächen überhaupt etwas geschieht. Hier aber sind Grundstücke knapp“: Im Monocle-Städteranking 2009 belegte München Platz 1 der lebenswertesten Metropolen Europas, 2010 nach Zürich, Helsinki und Kopenhagen Platz 4.

Wie viele der aktuellen (Zwischen-)Nutzungen – Proberäume für Orchester und Solisten, Produktions- und Präsentationsräume, ein Künstlertreff, ein Atelierhaus, das pathos transport theater und die schwere reiter – für das Kreativquartier erhalten werden können, ist deshalb eine der zentralen Fragen.

Die Jutierhalle soll jedenfalls hälftig Ateliers und Übungsräume sowie Arbeitsräume für die Kreativwirtschaft beherbergen, die Tonnenhalle Räume für die darstellende Kunst und ein Forum für weitere Präsentationsformen zur Verfügung stellen. Auf dem südlichen Areal entsteht ein neuer Campus der Hochschule für angewandte Wissenschaften München, in der Umgebung neue Wohnungen – bei einer kulturellen Nutzung des Hallenareals ist eine Ausweitung der für Wohnbebauung vorgesehenen Bereiche möglich.

Als „follow-up“ veranstaltet das Kulturreferat am 16. September als nächsten Schritt einen ganztägigen Workshop in der Burgstraße 4, um im Dialog zu realistischen Entwicklungsperspektiven für das Kreativquartier zu gelangen. Akteure aus Kunst, Kultur- und Kreativwirtschaft sind eingeladen, in vier verschiedenen Arbeitsgruppen (Realisation/Programmatik, Organisationsstruktur/Betreiber/Träger, Raummodelle/Nutzerstruktur/Finanzierung, Integration ins Quartier und in die Stadt) gemeinsam mit Vertretern aus der Verwaltung, der Projektentwicklung und dem Stadtteil Tendenzen für schlüssige Realisierungs-, Betriebs- und Finanzierungskonzeptionen zu erarbeiten. Die Ergebnisse des Workshops werden öffentlich präsentiert und bilden den Ausgangspunkt für die weiteren Planungen für das Kreativquartier.

Interessenten können sich noch bis zum 31. August mit dem angehängten Formular per eMail an post.kreativquartier@muenchen.de bewerben.

Jochen Paul