Elf Jahre nach „Theo van Doesburg. Maler-Architekt“ in der Villa Stuck beschäftigt sich das Lenbachhaus erneut mit der von Doesburg mit dem Anspruch, „die Kräfte der modernen Kunst zu bündeln“ gegründeten Kunstbewegung De Stijl. Dabei konzentrieren sich Helmut Friedel und Mathias Mühling als Kuratoren einerseits auf Piet Mondrian als den in der Außenwahrnehmung prominentesten Vertreter; andererseits darauf, dass De Stijl zwar stilbildend für die Moderne war, aber als Gruppe keinen einheitlichen Stil hervorgebracht hat. Ziel der Ausstellung ist es, die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Bewegung zu zeigen, deren Gemeinsamkeit in erster Linie in der Grenzüberschreitung zwischen Architektur, Skulptur, Malerei, Film, Theater, Musik, Literatur und Design zu sehen ist: De Stijl war mehr als nur Mondrian, Mondrian mehr als nur der Urheber von Ikonen der Moderne in gelb, rot und blau.
Deshalb zeichnet die Ausstellung ausführlich die malerische Entwicklung von Mondrian vor seiner geometrisch-abstrakten Phase ab 1921 nach. Von 1908 bis 1911 verbrachte er die Sommermonate in Domburg – das mondäne Seebad an der Nordseeküste war vor dem Ersten Weltkrieg eines der Zentren der Avantgarde –, wo er unter dem Einfluss der Maler Jan Toorop und Jacoba van Heemskerck sowohl den Farbauftrag der Luministen (der niederländischen Variante des Pointilismus) als auch deren theosophisch-esoterisches Gedankengut übernahm. Unter den Bildern aus dieser Zeit ragen ”Kirchturm in Zeeland“ und ”Dünenlandschaft“ (beide 1911) heraus, deren flächig-reduzierte Formen und die ganz in blau, grün und violett gehaltene Farbpalette bereits zentrale Komponenten von Andy Warhols Siebrucken vorweg nimmt.
Ein weiteres zentrales Motiv auf dem Weg in die Abstraktion waren Bäume – in der Ausstellung zu sehen sind „Grauer Baum“ (1911) und ”Blühender Apfelbaum“ (1912), deren Äste, Zweige und Blätter er mehr und mehr in ein Raster aus schwarzen Kreuzen und linsenförmigen Strukturen auflöste. Gänzlich von der gegenständlichen Malerei verabschiedete er sich erst unter dem Einfluss der Kubisten, die er 1911 in Paris kennen gelernt hatte. In der Erstausgabe der von 1917 bis 1928 erschienenen Zeitschrift De Stijl erklärte Mondrian dann programmatisch: „Sie [die Neue Gestaltung] kann sich nicht mehr hinter dem verstecken, was das Individuelle kennzeichnet, hinter natürlicher Form und Farbe, sie muss vielmehr in der Abstraktion von Form und Farbe zum Ausdruck kommen – in der geraden Linie und in der zur Bestimmtheit geführten Primärfarbe.“ Dieses Postulat arbeitete er seitdem bis zu seinem Tod 1944 mit gnadenloser Konsequenz ab.
Dass De Stijl auch in den Bereichen Architektur und Design mehr war als Gerrit Rietvelds Klassiker „rot-blauer Stuhl“ (1918) und „Haus Schröder“ (1924), zeigt die Ausstellung mit einem Jugendschlafzimmer und drei Bleiglasfenstern von Vilmos Huszár für die Familie Bruynzeel (1919), den Modellen von Cornelis van Eesterens „Maison Particulière“ und „Maison d’Artiste“ (beide 1923, rekonstruiert 1982/83), Piet Zwarts und Hendrik Petrus Berlages Frühstücksservice aus neongelbem Pressglas (1924-27) und J.J.P. Ouds Esstisch mit vier Stühlen aus hellblau lackiertem Stahlrohr (1927) und dem Modell des „Café de Unie“ in Rotterdam (1924).
Persönlicher Liebling unter all der scharfkantig-rechtwinkligen Kunst war jedoch Hans Arps kleines weiß-gelbes Holzrelief „Wolkenblumen“ (1932): Die plastisch-biomorphen Formen, die als Reaktion auf den Tod seines Freundes Theo van Doesburg – mit ihm hatten er und seine Frau Sophie Taeuber-Arp in Straßburg das Vergnügungslokal Aubette umgestaltet – entstanden, illustrieren besser als jede andere Arbeit das Spektrum von De Stijl.
Jochen Paul