Zeitgenössische Architektur in Bayern

Die Weisheit baut sich ein Haus | Architektur und Geschichte von Bibliotheken

Juli 2011 | Welche Rolle spielen Bibliotheken als Bauaufgabe noch nach dem „Ende der Gutenberg-Galaxis“, im Zeitalter von cloud computing, eBook-Readern, Online-Datenbanken, Smart Phones und Tablet PCs? Diese Frage stellten sich Winfried Nerdinger und sein Team als Ausgangspunkt der Ausstellung, die unter dem alttestamentarischen Titel „Die Weisheit baut sich ein Haus“ die Geschichte von Bibliotheken seit der Antike untersucht. Ein Rückblick von Jochen Paul

Nachweisen lässt sich der Bautypus bereits im alten Ägypten und in Mesopotamien: in Form von – meist nur wenige Quadratmeter großen – Anbauten zu Tempeln oder Räumen innerhalb von Palastanlagen, in denen Tontafeln und später Schriftrollen aus Papyrus lagerten. Ähnliche Bauten kannten auch die Hochkulturen in China, Griechenland und Rom, doch ihr Bestand an Schriften war mit Ausnahme der legendären Bibliotheken von Alexandria (700.000 Rollen) und Pergamon (200.000 Rollen) nach heutigen Maßstäben meist sehr klein.

Daran änderte sich auch in den mittelalterlichen Kirchen- und Klosterbibliotheken nichts Grundlegendes: Erst mit der Erfindung der beweglichen Lettern und der Möglichkeit, identische Bücher in größeren Auflagen zu drucken, wurde die Bibliothek zur eigenständigen Bauaufgabe. Die eingangs gestellte Frage beantwortet die Ausstellung allerdings erst im dritten von insgesamt vier Sälen; zunächst geht es um Themen wie Ordnung und Systematisierung, um unrealisiert gebliebene Visionen einer Universalbibliothek, die das gesamte Wissen der Menschheit vereinen sollte, und illustriert anhand von zahlreichen Plänen, Fotos und Modellen von Bibliotheksbauten des 19. und 20. Jahrhunderts um die Entwicklung einer Typologie: Saal-, Zentral- und Turmbauten sowie Freie Formen.

Allen Phänomenen der Digitalisierung zum Trotz sind in den letzten zehn Jahren mehr Bibliotheken gebaut worden als je zuvor, und die Liste ihrer Architekten liest sich wie ein Who is Who der Branche: Jo Coenen und Frank Gehry sind ebenso vertreten wie Max Dudler, Sir Norman Foster, Herzog & de Meuron, OMA, Dominique Perrault, Alvaro Siza Viera, Delugan Meissl und die Bjarke Ingels Group.

Das war bereits in der Renaissance nicht anders: Die beiden ersten neuzeitlichen Bibliotheken stammen mit Michelozzo di Bartholomeo (Bibliothek des Dominikanerkonvents San Marco, Florenz 1438-43) und Michelangelo Buonarrotti (Bibliotheca Laurenziana, Florenz 1523-71) von zwei der bedeutendsten Architekten ihrer Zeit. Lediglich die Typologie erweiterte sich um „introvertierte“ wie die Neue Bibliothek von Alexandria (Snøhetta, 1995-2002) und „extrovertierte“ Bibliotheken wie die Mediathek von Sendai (Toyo Ito, 1995-2001).

Am kurzweiligsten ist „Die Weisheit baut sich ein Haus“ aber dort, wo sie sich Exkurse zu Themen wie Bibliothek und Bibliothekarinnen im Film gestattet: Der Abschluss der Ausstellung zeigt in einer fast 20-minütigen Endlosschleife Szenen aus Filmen wie „American Psycho“, „Cabaret“, „Fahrenheit 451“, „Frühstück bei Tiffany“,„Der Himmel über Berlin“, „Der Name der Rose“ und „Die Reifeprüfung“, und sogar „Sex and the City“ ist vertreten.

Jochen Paul