Mit hochkarätigen Gästen wurde über Herausforderungen der Stadtentwicklung und die Fortschreibung der Münchner Stadtentwicklungskonzeption "Perspektive München" diskutiert. Bis Mitte Mai finden weitere Veranstaltungen und Präsentationen sowie eine Online-Diskussion auf muenchen-mitdenken.de statt.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Münchens Entwicklung im bundesweiten Vergleich
Wie kann sich eine Stadt erlauben, von Grenzen des Wachstums zu sprechen, wo doch die Grundthemen unserer Zeit die Schrumpfung von Bevölkerung, Arbeitsplätzen und deren verheerende Folgeerscheinungen ausmachen? Der Schrumpfungsbegriff lässt sich bei München höchstens auf die schwindende Anzahl des Wohnraums übertragen: Seit etlichen Jahren überschreitet die Nachfrage das Angebot.
Die Stadt muss pro Jahr ca.7000 neue Wohneinheiten schaffen, um dem Bevölkerungswachstum, das derzeit bei 6% liegt, bis 2020 gerecht zu werden (Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Stadt München). Dies sind die Statistiken, Zahlen auf Papier, die die Komplexität des gesellschaftlichen Wandels, die Dynamik von Angebot und Nachfrage, sowie die wirtschaftliche und soziale Konkurrenz jedoch nicht zu beschreiben vermögen.
Die konjunkturelle Lage der Stadt ist eng verknüpft mit der Stadtentwicklung. Prinzipiell ist gegen eine niedrige Arbeitslosenquote, eine stabile Wirtschaft und eine - entgegen dem Trend - junge, zunehmende Bevölkerung nichts einzuwenden. Doch selbst Wachstum bedeutet nach Oberbürgermeister Ude „Stress", wenn die entsprechenden Mittel, insbesondere die Flächenressourcen an ihre Grenzen stoßen.
Das alles sind bekannte Themen. Nun stellt sich die Frage, was zu tun ist, um die nicht aufzuhaltenden Prozesse des gesellschaftlichen Wandels zumindest einer gewissen Lenkung zu unterziehen. München kann sich nicht an den allgemein gültigen Leitbildern der bundesweiten Entwicklung orientieren, denn die Stadt nimmt besagte Sonderrolle ein. Eine individuelle Strategie ist somit notwendig. Die negativen Folgen des Wachstums, die Störung des Gleichgewichtes zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem ist in der Millionenstadt zu koordinieren.
Fest steht jedenfalls: „Schluss machen geht nicht!" betont Oberbrürgermeister Ude lautmalerisch und meint damit, die Bevölkerungszunahme einer Stadt dürfe man nicht stoppen. Er führt fort, München bestünde seit jeher zu einem überwiegenden Prozentteil aus Menschen, die aus einer anderen Region hergezogen sind, um hier zu arbeiten und ihre Freizeit zu verbringen.
Wachstum ist in unserer Kultur als ein positiv konnotierter Begriff verankert. Abgrenzung, Selektion und Kontrolle hingegen sind mit Vorsicht zu betrachten, insbesondere wenn diese Begriffe im Kontext der sozialen Struktur stehen. Um diese prekären Gedanken nicht weiter zu vertiefen - das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich ist in München aufgrund der enormen Einkommensdifferenzen ein ausgeprägtes Phänomen - setzt die Stadt auf das „Bottom-Up"- Prinzip und somit auf eine intensive Beteiligung der Einwohner Münchens im Kontext der zu bewältigenden Aufgaben.
Nicht nur Verständnis und Engagement sind gefragt, sondern „Mitstreiter werden gesucht", so formuliert es Stadtbauräten Merk.
Zu der Auftaktveranstaltung der Öffentlichkeitsinitiative MitDenken waren Experten, wie Prof. Dr. Ingrid Breckner vom Department Stadtplanung der HCU Hamburg, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a.D, vom Lehrstuhl für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität, München sowie Prof. Dr. Franz-Josef Radermacher, Vorstand und Professor für „Datenbanken und Künstliche Intelligenz" an der Universität Ulm geladen. Geleitet wurde die Podiumsdiskussion von Prof. Dr. Klaus Selle vom Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung an der RWTH Aachen. Die Stadt München vertraten Oberbürgermeister Christian Ude und Stadtbaurätin Prof. Dr. Elisabeth Merk.
Christian Ude stellte zu Beginn der Veranstaltung schnell klar, dass sich Münchens Wohnungsmarkt in einer komplexen globalen Vernetzung befinde, die maßgeblich von „Finanzvagabunden" gesteuert werde. Er meint damit Immobilienspekulanten, die bundesweit nach dem sog. „Betongold" in stabilen, zukunftsträchtigen Städten streben. Radermacher schloss sich im späteren Verlauf der Podiumsdisussion dieser Meinung an: „Heute machen wir höchst effizient das Falsche"! als „Teil des globalen Prozesses."
Ude schlug Instrumente vor, um gegen die externen Kräfte, die die Mieten bereits heute in die Höhe treiben, vorzugehen. Eines davon wäre, die Umwandlung von Altbauimmobilien für Spekulationen zu verbieten. Der Mietspiegel solle sich nicht nur an den sich ändernden Mieten orientieren und die Mietanstiegs-Quote müsse per Gesetz reduziert werden. Am wichtigsten sei jedoch, dass die Bürger der Stadt „nicht alles mitmachen" sollten. In dem Zusammenhang fiel der Begriff der Ehrlichkeit, der im weiteren Verlauf des Abends noch ausgiebig diskutiert wurde.
Der Oberbürgermeister plädierte für einen ehrlichen Dialog zwischen den Bürgern und der Stadt. Wie könne es sein, dass sich einerseits über die fehlende Anzahl an Wohnungen und die sich dadurch steigernden Mieten beklagt werden würde, andererseits die aber Bauvorhaben wie Sozialwohnungen, Kinderspielplätze und Flächenverdichtungen im eigenen Umfeld kritisiert würden. Radermacher betonte hierzu die Subjektivität des Ehrlichkeitsbegriffes und warnte vor „falscher" Ehrlichkeit. Es bedürfe messbarer, „ökonomischer Leit- und Wertsätze", die sich über die subjektiven Empfindungen und Bewertungen eines unzufriedener Bürger hinwegsetzen. Stadtbaurätin Merk ergänzte: „Die Stadtgesellschaft muss bestimmte Dinge akzeptieren!"
Ein weiterer prägender Begriff der Podiumsdiskussion war Nachhaltigkeit. Sie umschreibt die Balance, das Kräftegleichgewicht zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Komponenten. Interessant in diesem Zusammenhang war Nida-Rümelins Bemerkung, dass die soziale Säule der Nachhaltigkeit nur durch eine „fundamentale Veränderung" unserer Wahrnehmung im Hinblick auf soziale Disparitäten stabilisiert werden könne. Ingrid Breckner hatte zuvor darauf hingewiesen, dass es einer „Aufklärung" bedürfe, um den Großstadtbewohnern bewusst zu machen, welche Bevölkerungsschicht für das Funktionieren unserer städtischen Lebensweise, verantwortlich sei. Beide Referenten waren sich einig, dass es eines Lösungsmodells für die Integration, die „soziale Inklusion" aller Bevölkerungsschichten in einer nachhaltigen Stadtentwicklung bedürfe.
Abschließend wurde die Vorgehensweise stadtplanerischer Prozesse beschrieben, um die Grenzen des Wachstums in München in den nächsten Jahren, unter der spezifischen Betrachtung des jeweiligen Stadtteils, auszuloten. Dem Auftaktabend folgen in April und Mai Veranstaltungen unter dem Motto „Perspektive vor Ort", die weiterhin zum „MitDenken", „MitReden" und „MitPlanen" der Bürger anregen sollen. Parallel zu den Veranstaltungen wurde eine Online-Plattform mit dem Aufruf zur Beteiligung im Netz eingerichtet.
Auftaktveranstaltungen sind ein Auftakt und der Beginn einer langen Diskussion mit abzuwartenden Ergebnissen. Trotz hochkarätiger Gäste, die interessante Einwände, Anmerkungen und Empfehlungen zu der Thematik Boomtown München, aussprachen, blieben die Lösungsstrategien an diesem Abend noch unkonkret.
Für mich als Neubürgerin, zugezogen um hier zu arbeiten, (teuer) zu wohnen und dennoch das Flair und die Kultur dieser Stadt genießend, war es ein informativer und spannungsgeladener Abend. Das Interesse am Thema scheint groß, denn der Saal im Literaturhaus war bis auf den letzten Stehplatz gefüllt!
Silvia Pöhlsen