März 2012 | Unter dem Motto „Länderübergreifende Projekte in der Architektur der Alpenländer und darüber hinaus“ referierten renommierte Architekten über Ihre persönlichen Erfahrungen in den Alpen und stellten Ihre Highlights und aktuellen Arbeiten vor. Ein Rückblick von Silvia Pöhlsen
Die Vorträge der erfahrenen Architekten hatten zum Ziel alle Faktoren aufzuzeigen, die eine Rolle spielen um Architektur im Ausland für alle Beteiligten in eine win-win-Situation zu führen.
Bevor die Stars des Abends, Kjetil T. Thorsen von Snøhetta aus Oslo und Prof. Tobias Wallisser von LAVA aus Stuttgart und Sydney sprachen, füllte sich der Saal in dem architektonisch feinfühlig modernisierten Kulturzentrum auf rund 200 Gäste.
Unter der Moderation von Martin Mutschlechner (stadtlabor, Innsbruck) referierten und diskutierten auf dem alpitecture summit Kongress am 23. März:
Prof. Oswald Zoeggeler, Studio Zoeggeler, Bozen; Felix Eisenbrand, Allmann Sattler Wappner, München; Michael Obrist, feld72, Wien, Bozen; Oliver Baldauf in Vertretung von Jesco Hutter, Baumschlager Hutter Partner, Dornbirn, Widnau, Wien; Jens Oberst, KohlmayerOberst Architekten, Stuttgart; Felix Bembé, Bembé Dellinger Architekten, Greifenberg; Heike Schlauch, raumhochrosen, Bregenz sowie Much Untertrifaller, Dietrich | Untertrifaller Architekten, Bregenz, Wien, St.Gallen.
„Vor Alpenpanorama sieht einfach alles besser aus!“ bemerkt Regine Geibel, während die ersten Projekte auf der Leinwand erscheinen. Natürlich spielen der Blickpunkt des Betrachters, die Kulisse und vor allem der sensible Umgang mit der Topographie eine wichtige Rolle für den ästhetischen Gesamteindruck eines Gebäudes. Doch der Weg von der Planung bis zur Umsetzung ist bekanntermaßen mit Hürden verbunden, die sich auch in den Alpenländern nicht nur auf die Höhen und Tiefen der Gebirgslandschaft beziehen.
Das wohl rustikalste Projekt in dieser Hinsicht (zwar nicht in den Alpen, sondern in den südlichen Ausläufern der Abruzzen) zeigte das Wiener Architekturbüro feld72. Ihr Revitalisierungsprojekt „Million Donkey Hotel“ in einem fast ausgestorbenen süditalienischen Bergdorf zeigt, wie weit realitätsnegierende Architekturprojekte mit echtem, aus der Not heraus reduziertem Design zum Erfolg werden können, wenn die Zusammenarbeit funktioniert. Dieses außergewöhnliche Projekt, für das alle „Hinterbliebenen“ des Dorfes und die „Heimkehrer“ mobilisiert wurden, um zusammen mit externen Künstlern, Architekten und Designern die leerstehenden, verfallenen Ruinen Ihres Dorfes umzunutzen, ist zum einzigartigen Beispiel eines kulturellen Konsens avanciert.
Die Zusammenarbeit ist eben der Kern jedes erfolgreichen Projekts. Und die Schwierigkeiten, die selbst in direkten Nachbarländern entstehen können, wurden von den Rednern ebenfalls thematisiert. Unglaublich beispielsweise, was Much Untertrifaller (Dietrich | Untertrifaller Architekten) von der Schweiz berichtete: Seine Einfamilienhaussiedlung in Zumikon bei Zürich erstreckt sich über zwei Kantone mit unterschiedlichen Bauvorschriften. Auf der einen Straßenseite war so gut wie alles möglich, auf der anderen gab es strenge Vorschriften, die zu einfachen, rechteckigen, Satteldachhäusern führen sollten, während die Nachbarn sich auf den Dächern ihrer auf polygonalen Grundrissen errichteten Villen sonnen. Welche Konsens- und Diskussionsarbeit bei einem solchen Projekt unter den unterschiedlichen Interessenvertretern stattfindet, kann man sich gut vorstellen.
So sind es wohl weniger die Verständigungsschwierigkeiten, die in den Alpenländern zu Problemen führen können, sondern vielmehr die interkulturellen Differenzen in Kombination mit den landestypischen Bauvorschriften. Die Schweizer streng, die Südtiroler sensibel, die Franzosen bautechnisch rückständig, die Österreicher kontradiktorisch... Genug der Klischees! Es lohnt sich trotzdem, als Architekturbüro diese geistigen Hürden auf sich zu nehmen und Projekte in den Nachbarländern zu realisieren. Zwar wurde über die finanziellen Vorteile im Ausland nicht gesprochen - außer, dass Wettbewerbsentwürfe in Frankreich schon einmal mit 150.000 € honoriert werden...
Im späteren Verlauf des Abends wurde der Trick verraten, wie man sich als Architekt über Paragraphen und Partnerkonflikte hinwegsetzen kann. Man muss das Gebäude einfach als Kunst deklarieren und schon scheint alles möglich. Was dieses Alles bedeutet, vermittelt uns Kjetil T. Thorsen auf sehr charmante Art und Weise.
Dieses ungewöhnliche Büro, das einmal im Jahr mit allen Mitarbeitern eine Wanderung auf den gleichnamigen Berg Snøhetta unternimmt (denn „wenn man nicht geht, kann man nicht denken“), scheint vor Kreativität zu strotzen und bringt innovatives Gedankengut in Bereiche, die kaum antastbar erscheinen. Das Konzept für die Rauland Mountain Church etwa erinnert von seiner Form her an den tropfenförmigen Holzkopf eines Golfschlägers und ermöglicht durch die Öffnungen in dieser Form ein geradezu neugotisches Lichtkonzept, das den Lichtwechsel über den Tag und die Jahreszeiten inszeniert. Den philosophischen Hintergrund weiter auszuführen ginge hier zu weit und entspräche womöglich auch nicht Thorsens Wortlaut. Ein Zitat von ihm: „Einigkeit ist der einzige Kompromiss, wenn man beides tut“ möchte ich an dieser Stelle trotzdem nennen, denn es greift wieder die Thematik des gesamten Tages auf.
Der sensible Umgang mit der Natur ist nicht nur das Credo vom Büro Snøhetta. Das Bauen „in den Berg hinein" und damit der Erhalt der bestehenden Landschaft scheint der konsensuelle Gedanke zeitgenössischer Architektur in den Alpenländern zu sein. Die bestehende Topographie rückt in den Vordergrund, es entstehen fließende Übergänge von der Landschaft zur Architektur. Bembé Dellinger Architekten gelingt dies beispielsweise bei dem Wohnhaus V3 in Hechendorf am Pilsensee, Dietrich | Untertrifaller Architekten setzten dieses Konzept in dem ETH Sport Center in Zürich um, und feld72 lassen nicht nur einen Kindergarten mit dem Hang verschmelzen.
Wie weit diese Symbiose gehen kann, wurde dann im Abschlussvortrag von Prof. Tobias Wallisser vermittelt: Der Utopist beschreibt unsere Zukunft in einer von Desertifikation gezeichneten Landschaft, in der hochtechnisierte Gebilde, nämlich „Clouds“, für alle komplexen technischen und physischen Prozesse „programmiert“ werden und das Leben in dieser kargen Mondlandschaft steuern. Nur unterhalb dieser transzendenten Flächen besteht demnach das Leben.
Mit tiefgründigen architekurphilosophischen Gesprächen, die durch die international agierenden Architekten hervorgerufen wurden, klang dieser laue Frühlingsabend spät aus.
Weitere Infos:
Der Kongress alpitecture summit fand im Rahmen des 4. alpitecture code statt. Ein Ideenworkshop zur Präsentation Südtirols auf der EXPO 2015 in Mailand bildete einen der Schwerpunkte des vielfältigen Programms, in welchem die Qualitäten des Landes auf Basis einer weiterentwickelten Tradition vermittelt wurden. Der Besuch von Partner-Unternehmen, die ihre Kompetenz und Leistungen auch in der besuchten Architektur von Referenzobjekten präsentieren, war wesentlicher Bestandteil des alpitecture code.
alpitecture ist angeregt von der ap35 GmbH. Die Agentur für Architecture Management & Relationship Marketing organisiert die Veranstaltung in Kooperation mit EOS (Export Organisation Südtirol der Handelskammer Bozen).