Ein Interview mit dem diesjährigen Kommissar des Deutschen Beitrags für die Architekturbiennale in Venedig, Muck Petzet, Architekt aus München
Auszug aus dem offiziellen statement zum Konzept der Ausstellung:
Reduce/Reuse/Recycle | Ressource Architektur
In den deutschen Architekturbüros geht es immer weniger um Neubau und Neuschöpfung. Die Arbeit mit dem Gebäudebestand ist längst zur größten Bauaufgabe geworden. Ein großmaßstäblicher Umverteilungs- und Umwertungsprozess findet statt: Einige wenige Städte wachsen ungebremst, die Mehrzahl aber schrumpft, Ränder und Rand-Regionen entvölkern sich zunehmend. Es gibt ein Zuviel an Architektur, Schrumpfung und Verkleinerung sind neue Planungsaufgaben für Architekten, und auch da, wo noch Wachstum ist, gibt es keine tabula rasa: Es geht um Verdichtung, Ergänzung und das Füllen von Lücken im Gewebe der Städte. Der Umgang mit dem Bestand ist entscheidend für unsere Zukunft. Das Neubauvolumen macht jährlich nur ca. 1 Prozent des Gebäudebestands aus.
Regine Geibel
Was bedeutet dir das Publikum, das sich die Biennale anschaut?
Muck Petzet
Das Publikum sind – außerhalb der Eröffnungstage – wohl überwiegend Studenten. Also das entscheidende Publikum – wenn man etwas verändern möchte. Die Biennale ist nach wie vor eine wichtige Einrichtung. An sich „altmodisch“ wie eine Weltausstellung des 19. Jahrhunderts – so wie sich die Länder in ihren eigenen Pavillons präsentieren. Aber gerade diese Eigenheit ist auch die Stärke von Venedig: Es ergibt sich ein spannender Dialog zwischen den Ländern – und der kuratierten „Hauptausstellung“.
Kanntest Du Chipperfields Generalmotto „Common ground“, bevor du dein Konzept entwickelt hast?
Nein, da es ja immer so ist, dass das übergeordnete Thema erst lange nach der Bewerbungsfrist der deutschen Auslobung bekannt gegeben wird. Das Gesamt-Thema muss so allgemein formuliert sein, dass alles – oder zumindest vieles – reinpasst. Das Motto Common Ground ist entsprechend allgemein – aber es gibt auch ganz klar eine Richtung vor. Dazu passt unser Thema ganz hervorragend! Uns eint der Gedanke, keine Autoren-Architektur-Leistungsschau zu machen.
Du betonst mit deiner Ausstellung ein eher unattraktives Thema. Der Neubau und die Selbstverwirklichung in dieser Freiheit ist seit jeher die Vision der Architekten. Dazu formulierst Du in deinem kuratorischen Statement eine extrem kritische Haltung gegenüber deiner eigenen Zunft (...zum vorherrschenden Selbstverständnis der Architektenschaft, das noch immer von einem Selbstbild als Schöpfer neuer Welten bestimmt ist). Hast Du keine Angst, Dich unbeliebt zu machen?
Ich hoffe eher, dass das eine fruchtbare Provokation ist. Es ist ja eine Behauptung, ich gehe dabei von mir aus, denn mir geht es selber so. Wie unterschiedlich sind die Gefühle bei einem Neubau oder einem Umbau! Ich sage mir zwar es ist das Gleiche, aber ich ertappe mich selbst noch manchmal dabei, zu denken „das ist ja nur ein Umbau.“
Sind in der Praxis nicht nur die schwierigeren Umstände und die mangelnde Reputationsmöglichkeit, sondern auch der schwierige finanzielle Aspekt für die Unattraktivität dieser Bauaufgaben verantwortlich?
Es gibt ja immerhin einen Umbauzuschlag. Allerdings kann die Koppelung der Honorare an die Baukosten schon kontraproduktiv sein. Wenig – oder sogar gar nichts – zu machen resultiert in wenig oder gar keinem Honorar. Dabei sollte das durchaus immer eine Möglichkeit sein – mit dem Blick des Architekten eine Immobilie auch unverändert als wertvoll zu erkennen – und alleine damit aufzuwerten. Warum soll es für diese Wertschöpfung kein Honorar geben? Mein Ansatz ist es, eine Haltung zu propagieren, die besagt, dass es für einen guten Umbau wichtig ist, den Bestand so zu respektieren und anzunehmen wie er ist. Also nicht sofort an die Änderungen zu denken, sondern erstmal das zu sehen, was bereits da ist. Hier wird oft – auch von den Auftraggebern – nur gesehen, dass sich alles ändern muss. Das ist eine negative Haltung, aus der nichts wachsen kann.
Das würde eine neue Zurückhaltung bei den Architekten bedeuten. Eine Verbeugung vor dem Bestand?
Ja und nein, denn es ist ja eine ganz spannende Aufgabe, die auch viel Kreativität erfordert. Die Entscheidung, was am Bestand gut ist und erhaltenswert, was schlecht ist und verändert werden soll, verlangt viel Wissen und ist sehr verantwortungsvoll. Ich sage ja nicht, dass keine Veränderung stattfinden darf. Bei einem schlechten Bestand ist es legitim, ihn weitgehend zu verändern. Aber es gibt eben alle diese Möglichkeiten: Von „gar nichts zu verändern“ bis hin zu „fast alles zu verändern“.
Wie reagieren die Kollegen auf Dein Thema? Gibt es offene Kritik?
Ganz verschieden, es gibt durchaus auch Kritik. Wobei es natürlich ein super political korrektes Thema ist. Das ist auch die Gefahr daran, nach dem Motto: „Umbau ist natürlich ein wichtiges Thema...“ Aber trotzdem hat keiner richtig Lust dazu. Das zu drehen ist mein Ziel: Es soll spannend werden.
Also siehst Du Venedig als Chance diese Thematik sexyer zu machen?
Ja, unbedingt! Denn es ist keine gesuchte Thematik, sondern unsere Zukunft. Dass in München immer noch Kasernengelände abgerissen werden, um an ihrer Stelle neue ökologische Mustersiedlungen zu bauen, ist absurd. Oder ganz aktuell der Abriss des „Gesundheitshauses“ in der Dachauerstraße und der Ersatz durch ein „Passivhaus“. Das ist ein ganz falsches Energieeinsparungsspiel. Die im Bestand gebundenen Energie wird vernichtet.
Ist Abreißen und neu Bauen eine Milchmädchenrechnung?
Ja, meistens schon. Es ist wie die Abwrackprämie beim Auto, die wurde ja auch als „Energieeinsparmaßnahme“ verkauft – aber um die Energiedifferenz wieder rein zu fahren, die die Produktion eines neuen Autos verschlingt, müsste man 100 Jahre unterwegs sein. Das ist eine wachstumsorientierte Philosophie. Und außer in wenigen Ausnahmeregionen – wie München – wächst in Deutschland nichts mehr.
Danke Muck und viel Erfolg bei den Vorbereitungen!