Zugegeben, der Titel hätte etwas feinfühliger ausfallen können, doch dass es sich lohnt, drei Tage lang über ein Phänomen der Nachkriegsarchitektur zu sprechen, wurde beim ersten Augsburger Architektursymposium Bauen für die Massenkultur – Stadt- und Kongresshallen der 60er und 70er Jahre bewiesen...
Die Idee und Konzeption des Architektursymposiums stammt von Olaf Gisbertz, Professor an der TU Braunschweig. Was verschlägt diesen ins schwäbische Bayern, nach Augsburg in einen Betonklotz der 1970er Jahre? Eben genau derselbige...
Wachgeküsst aus dem Dornröschenschlaf
Der Kongress am Park, in dem die Tagung vom 27. bis zum 29. November mit hochrangigen Rednern aus der Baukulturforschung stattfand, wurde 2012 durch das Augsburger Architekturbüro Schuller + Thamm Architekten saniert. Der 1972 eröffnete Mehrzweckbau zu Füßen des markanten Hotelturms, den die meisten Augsburger wohl eher unter dem Namen „Maiskolben" kennen, gilt als Lebenswerk des Architekten Max Speidl. Der Ursprungsbau, die Ludwigshalle, eine prunkvolle Fest- und Konzerthalle aus den 1920er Jahren, wurde trotz seiner Beliebtheit 1965 abgebrochen. An seine Stelle trat das 'Sichtbeton-Ungetüm' im Stile der frühen 1970er Jahre. Abgenutzt und ungeliebt wurde es bis zu seiner Sanierung im vergangenen Jahr von rankenden Pflanzen überwuchert, schlief einen Dornröschenschlaf und wurde durch die Architekten und den Denkmalschutz wachgeküsst, wie Gerhard Tham mit einem zwinkernden Auge betonte. Unter der Regie seines neuen Besitzers, der Kongresshalle Augsburg Betriebs GmbH, erlebt das Gebäude nun eine zweite Chance und bleibt durch die Listung als Denkmal vom Abriss verschont.
Die geschickte und innovative Illumination lässt den Béton brut in seiner Eleganz erstrahlen – die Architektur der Kongresshalle braucht sich nicht mehr zu verstecken. Im Inneren bis auf den Kern saniert mit dezenten Zitaten des ursprünglichen Designs und technisch sowie energetisch auf dem neuesten Stand, steht dieses Gebäude beispielhaft für einen aktuellen Architekturdiskurs, nämlich den Umgang mit der Nachkriegsmoderne.
Der Fokus liegt bei dieser Tagung auf den Stadt- und Kongresshallen, doch was sind dies überhaupt für Gebäude? Lassen sie sich definieren? Für wen wurden diese Gebäude errichtet und passen sie in unser heutiges Stadtbild und zu unserer heutigen Gesellschaft?
Massen-Gesellschaft und Kulturpolitik
Dominik Schrage, Professor für Kultur- und Mediensoziologie an der Leuphana Universität Lüneburg leitet zu Beginn der Tagung in den Begriff der Massenkultur ein und versucht diesen vorbehaltlos und neutral im Kontext der neuen Mittelschicht der Nachkriegszeit zu erläutern. Das Beziehungsgeflecht zwischen den neu aufkommenden Massenmedien, Massenpublikum, Massenkonsum und das Aufkommen einer Kulturindustrie stellt er in einen Zusammenhang mit der Architektur. „Sind die Stadthallen ein Ort, wo man Masse sein darf?" fragt er. Großprojekte wie die 1952 wiederaufgebaute Westfalenhalle in Dortmund oder die 1958 eröffnete Wiener Stadthalle, die für bis zu 15.000 Besucher ausgelegt sind, zeugen sicherlich von dem Wunsch, der Massen-Gesellschaft einen Ort zur kontrollierten Unterhaltung zu geben.
Es geht vor allem um sportive oder kulturelle Zwecke wie Konzerte und Theater, denen sich die Gebäude verschreiben. Jörg Rüter, Leiter der kommunalen Denkmalschutzbehörde Steglitz-Zehlendorf von Berlin, unterstreicht den technischen und wirtschaftlichen Zukunftsglauben jener Zeit, der sich in der Bauweise widerspiegelt. Die Karlsruher Schwarzwaldhalle (Baujahr 1953/54) etwa gehört zu einem der frühesten Beispiele einer innovativen Tragwerksplanung, die durch den Architekten Erich Schelling an diesem Bau erfolgreich erprobt wurde. Bis heute gilt sie als ein aus statischer Sicht wohl mit mehr Glück als Verstand umgesetzter Bau, dessen parabolisches, hauchdünnes Hängedach aus Spannbeton in ein filigranes Stützwerk mündet.
Andere technische Lösungen schienen weniger ausgereift. Die Berliner Kongresshalle (Baujahr 1956/57, Architekt Hugh Stubbins) mit ihrem spektakulären konkaven Schalendach, das an eine Muschel erinnert, stürzte 1980 ein – ein Fauxpas, der schnell behoben werden musste, galt die Halle doch als Sinnbild einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft und als Bau der Freundschaft zwischen der BRD und den USA. Steffen de Rudder, der sich in seinem Vortrag ausgiebig der Kongresshalle widmet, arbeitete lange Jahre als Architekt, bevor er eine wissenschaftliche Laufbahn einschlug. Er betont, dass es bei diesem Bau von Beginn an mehr um Äußerlichkeiten ging; so ist sein funktioneller Nutzen nach wie vor problematisch. Dieses Relikt einer Architektur des kalten Krieges steht im Kontrast zu einem weiteren Stadthallen-Beispiel aus Wien.
Ein Alleskönner auf Kosten der Ästhetik
Der Architekt Roland Rainer konzipierte Ende der 1950er Jahre ein Gebäude-Ensemble in Wiens 15. Bezirk, mit einem bis zu 15.000 Besucher fassenden Hauptgebäude dessen Erscheinungsbild kontrovers diskutiert wird: die Wiener Stadthalle, ein „Alleskönner auf Kosten der Ästhetik" wie Klaus Tragbar, Professor für Baukunst, Baugeschichte und Denkmalpflege an der Universität Innsbruck zusammenfasst. Doch auch dieses Gebäude wird geliebt und genutzt – 2006 erhielt das Veranstaltungszentrum eine moderne Erweiterung durch Dietrich | Untertrifaller Architekten.
Weitere analytische Architektur-Betrachtungen folgen aus dem flandrischen Teil Belgiens, wo sich nach den Erläuterungen Janina Gosseyes eine Stadthalle in Dilbeck, einem Vorort Brüssels, aus politisch-ideologischen Gründen nach Osten zur Stadt hin wie ein Bollwerk gegen den Erzfeind verhält, Christoph Grafe erklärt den Unterschied zwischen schwedischen und englischen Stadthallen und geht auf die aktuellen Problematiken und Perspektiven des South Bank Art Center in London ein, Klaus Jan Philipp, Professor für Architekturgeschichte und Leiter des Instituts für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart, beschreibt das „Grünes-Band-Konzept" in Stuttgart im Zusammenhang der 1956 errichteten Liederhalle, die durch ihre Gestaltung einen weichen Übergang zwischen Architektur und Landschaft durchführt. Aus Italien folgen Beispiele des Kunsthistorikers Elmar Kossel und Tuula Pöyhiä von der Alvar Aalto Stiftung in Helsinki spricht über Stadthallen in Finnland.
Und heute?
Soweit sind die Tagungs-Nachmittage gefüllt, doch wie nun die Brücke in die gegenwärtige Debatte um den Erhalt und die Bedeutung von Stadthallen in unserer heutigen Gesellschaft schlagen? Die intensivere Auseinandersetzung mit aktuellen Sanierungsprojekten oder die Behandlung von neugebauten Stadthallen, wie der „Neuen Stadthalle" von Max Dudler Architekten in Reutlingen beispielsweise, wäre dabei möglicherweise hilfreich gewesen.
Mark Escherich, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität Weimar und Mitarbeiter der Denkmalschutzbehörde in Erfurt, spricht von positiven Sanierungsbeispielen in den neuen Bundesländern und stellt dabei die geschickten Marketing-Strategien Chemnitz als „Stadt der Moderne", in dessen Zuge auch das Hotel Kongress mit der Stadthalle in neuem Glanz erstrahlen, heraus. Gleichzeitig bemerkt er die sich noch vielerorts im Originalzustand befindenden Stadthallen kleinerer Kommunen, die es dringend zu inventarisieren und zu erhalten gilt.
Das Problem liegt im Detail
Die Herausforderungen bei dem Erhalt derartiger Gebäude werden in Bern Vollmars Vortrag ausgeführt. Der Landeskonservator am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in München erläutert das noch fehlende Know How und Bewusstsein für diese Gebäude, dem auch fast die Bonner Beethovenhalle zum Opfer gefallen wäre. Charakteristische Merkmale wie die „Liebe zum Detail" – der penible und aufeinander abgestimmte Umgang mit Fliesen, Fugen und Kanten etwa – wurden bisher nur wenig erforscht. Ein Imagewandel wurde bei den „Techno-Kisten" und „Beton-Klötzen" noch nicht vollzogen. Der ästhetische Moment dieser Architektur müsse gelernt werden, wie ehemals beim Historismus. Die Bauteile sind empfindlich und Aufgrund schlechter Wartung und problematischer Materialien vordergründig nicht erhaltenswert. Dass Faserbeton-Platten nicht schützenswert sind, steht fest, doch dass sich in diesen Gebäuden viel Potenzial verbirgt und sie ein wichtiger Bestandteil der jüngeren Architekturgeschichte sind, auch.
Wie ein „Beton-Bunker" zu retten ist, zeigen Pichler & Traupmann Architekten aus Wien. In Eisenstadt haben sie das wohl ehemals hässlichste Gebäude der Stadt in einen Metall-Vorhang Diamanten verwandelt, der im Kern Teile des Gebäudes erhält und modern erweitert wurde. Auch hier spielt, wie bei der Kongresshalle in Augsburg, das Beleuchtungskonzept eine entscheidende Rolle. Die Dramaturgie einer Lichtinszenierung scheint in der Architektur eine Schlüsselrolle zu bekommen. Auf den Bildern funktioniert es, ein realer Besuch lohnt sich sicherlich.
Architektonische Erleuchtung
Wenn Sie demnächst also einmal wieder vom Marienplatz in München auf den Kaufhof schauen – 1972 von Josef Wiedemann fertiggestellt – dann versuchen Sie doch einmal das, was Sie an dieser Architektur aufreibt, ins Positive zu verkehren und im Kontext jener Handschrift des Architekten und der Zeit zu deuten. Eine dramatische Beleuchtung, wie nun zur Weihnachtszeit, reicht dabei vielleicht schon aus, um die Qualität dieser Architektur zu entdecken...
Das Architektursymposium in Augsburg hat aufgrund der tiefgründigen wissenschaftlichen Betrachtungen einen wichtigen Beitrag zur Wissensvermittlung beigetragen, auch wenn die Bedeutung von Stadthallen heute nur im Zuge der historischen Betrachtungen Eingang in die Diskussion erhalten hat. Eine Fortsetzung eines derartigen öffentlichen Architektur-Symposiums hier in Bayern wäre wünschenswert.