Ende 2001 begannen die urbanauten als eine Art Debattierclub ihre Arbeit. Seitdem machen sie sich durch Aktionen im öffentlichen Raum, spontane Kunst- und Kulturprojekte oder Fragen aufwerfende Happenings einen Namen in der Münchner Kulturszene. Einige Projekte wie der Kulturstrand oder der Corso Leopold haben sich inzwischen zu einer festen Institution in München entwickelt. Die Gründer der urbanauten sind Benjamin David und Ulrike Bührlen. Als Kulturpartner von muenchenarchitektur sprachen wir im November mit Ben über Mut und Willen in der Stadtpolitik, den Unterschied zwischen Barcelona und München und Aufstockungen in Haidhausen...
Wie kam es zur Gründung der urbanauten?
Ulrike Bührlen und ich haben uns knapp zehn Jahre bei Green City, einem Münchner Umweltverein, engagiert und waren danach während des Studiums zusammen für ein Jahr in Barcelona. Wir wussten, dass dort sehr viele spannende Projekte im öffentlichen Raum passieren. Nachdem wir 2001 aus Spanien zurück kamen, gründeten wir zunächst den „Arbeitskreis Öffentlicher Raum", der sich kurze Zeit später in „die urbanauten" umbenannte.
Waren die Erfahrungen, die Ihr in Barcelona gemacht habt, eine Art Schlüsselerlebnis für Euch?
Barcelona hat uns vor allem wegen seiner außergewöhnlichen Stadtplanung, Architektur und Kultur fasziniert. Die Menschen dort haben ein tieferes Bewusstsein für den öffentlichen Raum. Spannend ist zum Beispiel, dass die Stadt jedes Jahr 20-30 Stadtplätze auf ehemaligen Verkehrsflächen eröffnet oder die Fiestas Majores, bei der alle Straßen der 42 Stadtviertel abwechselnd für eine Woche komplett für den Autoverkehr gesperrt werden, damit die Menschen auf den Straßen feiern können. In München wäre so etwas für die Zukunft auch vorstellbar.
Was waren dann Eure ersten Aktionen hier in München und wie wurden diese angenommen?
Der Corso Leopold, den wir im Auftrag des Corso Leopold e.V. zusammen mit dem Streetlive-Festival organisieren, ist glaube ich das beste Projekt, um den Werdegang der urbanauten zu schildern. Während wir bei Green City noch als langhaarige Protestmenschen zu Fahrraddemos gegen den Autoverkehr aufriefen, wurde es mit diesem Straßenfest schon offizieller. Knapp 300.000 Besucher erleben zwei Mal im Jahr die Leopold- und Ludwigstraße auf mehreren Kilometern ganz ohne Autos. Dort passiert etwas, was uns von Beginn an interessiert, nämlich: „was macht man mit so einem Raum, wenn die Autos einmal nicht da sind?" Es ist unser Hauptantrieb, den Menschen Lust zu machen, ihre öffentlichen Räume mit anderen Augen zu sehen, in Anspruch zu nehmen und sich dabei sozial und kulturell zu begegnen. Insbesondere in einer Stadt wie München, die sehr starke Fliehkräfte hat und in der auch die soziale Spaltung immer größer wird, ist es wahnsinnig wichtig, dass es diese Momente und Orte und Zeitpunkte gibt, wo die verschiedenen Kreise der Bevölkerung einfach zusammen kommen können.
Seit fast vier Jahren organisieren die urbanauten schon den Kulturstrand. In diesem Jahr fand er wieder auf der Corneliusbrücke statt. Was sind das für Orte, die Ihr für diese Veranstaltung sucht?
Das sind Orte, die wir beim durch die Stadt flanieren entdecken. Merkwürdigerweise sind diese oftmals menschenleer obwohl sie sehr schön sind. Zum Beispiel beim Isarbalkon auf der Corneliusbrücke oder dem Vater-Rhein Brunnen war es für uns erstaunlich, dass diese Orte nicht von den Menschen für Aufenthalt, Kommunikation und Begegnung genutzt werden. Der Grund ist, dass sie weitgehend durch den Verkehr abgeschnitten und vom Verkehrslärm überlagert sind. Projekte wie der Kulturstrand verändern das Bewusstsein für diese Räume und können auch in der Stadtpolitik viel bewirken, was die Rahmenplanung für die innerstädtische Isar zeigt. Es ist schön zu sehen, dass sich die Stadt in allen Fraktionen vorstellen kann, den Autoverkehr in großen Teilen aus dem innerstädtischen Isarraum temporär zu beseitigen, die Straßenflächen für Menschen zu öffnen und Kioske und Toilettenhäuschen Zustimmung finden, einfache Dinge, die die Aufenthaltsqualität verbessern.
Ein weiteres Projekt, das Ihr in diesem Sommer umgesetzt habt, war "Notre Dame sur l'Isar", bei dem Ihr zusammen mit Studenten der Kunstakademie den schwierigen Raum entlang der Wittelsbacher Straße mit Kunst-Installationen bespielt habt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ulli und ich sind ja beide Geographen und begeistern uns zwar sehr für Kunst und Architektur, können sie aber selber nicht umsetzten. Zum Glück kennen wir inzwischen viele Architekten und Künstler, die uns bei der Umsetzung der Projekte helfen. Viele Professoren kommen auch auf uns zu, um Ihren Studenten ein spannendes Semesterprojekt zu ermöglichen – wie bei „Notre Dame sur l'Isar" Maria Auböck und Res Ingold beispielsweise. Aber auch mit der Bayerischen Staatsoper, der Katholischen Kirche, BMW oder dem Kulturreferat haben wir schon zusammengearbeitet. Wobei das interessant ist, sind dies doch alt eingesessene Kulturinstitutionen denen dennoch viel daran zu liegen scheint, einen gewissen experimentellen Aufbruch in München zu fördern und zu unterstützen.
Gibt es für 2014 konkrete Pläne von Euch?
2014 wird ein spannendes Jahr für uns, da wir zum Beispiel noch gar nicht genau wissen, wie es mit dem Kulturstrand weitergeht (siehe Diskussion auf facebook und unter kulturstrand.org). Wir würden wieder gern an den Vater-Rhein Brunnen und diesen Platz zusammen mit Architekturstudenten gestalten. Im Nußbaumpark geht das Projekt eigentlich nicht, weil direkt neben an die hoch schützenswerte Intensivstation der Uni-Kliniken ist. Ein weiteres, neues Projekt ist die Gründung des Isarlust-Vereins. Dieser wurde zusammen mit den Kultureinrichtungen, die an der inneren Isar residieren und mit den stadtweit relevanten NGOs, die sich für den öffentlichen Raum einsetzen gegründet. Im Vorstand sind beispielsweise Gasteig-Geschäftsführerin Brigitte von Welser oder Siegfrid Benker, lange Zeit grüner Fraktionsvorsitzender, Maria Auböck von der Kunstakademie, Helmut Gottschling von St. Lukas und Wolfgang Czisch vom Münchner Forum.
Um Projekte wie den Kulturstrand umzusetzen braucht es sicherlich viel Energie, gerade in einer Stadt wie München, wo bei manchen noch der Tenor herrscht, dass besser alles so bleiben sollte, wie es ist. Was sind das für Hürden mit denen Ihr da zu kämpfen habt?
Es ist tatsächlich so, dass, wenn man wie die urbanauten eine moderne Haltung zu den Prozessen, die in der Stadt passieren, hat, regelmäßig mit einem sehr mächtigen Spitzenpolitiker zusammen rumpelt, der die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat: dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Rathaus. Mit OB-Kandidat Dieter Reiter oder dem Münchner SPD-Vorsitzenden Uli Pfaffmann und vielen anderen in der SPD - gerade auf der "Erneuerungsliste" für die Stadtratsfraktion - verstehen wir uns aber super, genauso wie mit weiten Teilen bei den Grünen, der CSU, der FDP. Der Stadtverwaltung sind wir sehr dankbar für die viele Unterstützung und die große Offenheit für Neues in den letzten Jahren. Diese Konflikte sind für uns als urbanauten schon o.k., das müssen wir aushalten, wenn wir neue Thesen in den Raum werfen und die Stadt verändern möchten. Leider erlebt man die Zerrissenheit in der Politik auch sehr stark, wenn es um viel ernstere Themen geht, wie etwa um bezahlbaren Wohnraum oder die Ausstattung mit Kinderkrippen und die Kinderbetreuung oder Ähnliches. Es kann nicht so bleiben wie es ist. Die Stadtpolitik muss sich dem Thema der wachsenden Einwohnerzahlen und der damit einhergehenden Nachverdichtung stellen. Ich würde mir eine verantwortungsvolle, mutige und ehrliche Politik in dieser Hinsicht wünschen.
Wie würden sich diese übergeordneten stadtplanerischen Fragen im öffentlichen Raum bemerkbar machen?
Haidhausen wird wahrscheinlich zwei Stockwerke höher sein und Trudering doppelt so dicht bebaut wie heute, für Architekten sicherlich eine gute Nachricht, für die Leute die hier leben zum Teil eine grausame Vorstellung. Jedes der 25 Stadtviertel wird seinen sozialen Beitrag zur Nachverdichtung für bezahlbaren Wohnraum leisten müssen. Zu dieser Nachverdichtungsthematik gehört für uns daher auch die massive Aufmerksamkeit auf den öffentlichen Raum, denn ich denke, dass die Stadtbewohner eine Verdichtung ihrer Stadtviertel akzeptieren werden, wenn es im Gegenzug eine Aufwertung der öffentlichen Plätze und Straßenräume gäbe. Dann sollte ein Straßenfest eben auch mal über mehrere Tage möglich sein und nicht nur für acht Stunden.
Viele Autokreuzungen werden zu schönen Stadtplätzen. Bestehende Grünflächen und Parks sind für Bebauung tabu! Wir brauchen in dieser Hinsicht mutige Politiker, mutige Verwaltungsmenschen und vielleicht auch mehr Leute wie die urbanauten, die diese Themen öffentlich und engagiert besprechen wollen.
Vielen Dank für das Gespräch!