Frau Dr. Nollert, zum Zeitpunkt dieses Interviews sind Sie genau seit einer Woche an Ihrem neuen Arbeitsplatz. Sind Sie dort schon richtig angekommen?
Seit dem 1. Mai habe ich heute meinen dritten Arbeitstag, fühle mich wohl und angekommen. Aber natürlich gibt es noch vieles, was angeschaut werden und in das ich mich hineinarbeiten muss.
Zuvor waren Sie sieben Jahre Leiterin des Neuen Museums in Nürnberg. Insofern ist Ihnen Ihr Arbeitsbereich nicht fremd...
Ich hatte das Glück, durch meinen vorherigen Posten Einblick in Die Neue Sammlung zu bekommen. Jetzt geht es darum, alle unsere 100.000 Objekte zu sichten. Sie in die Hand zu nehmen, ist wahrscheinlich physisch nicht zu schaffen. Aber ich habe den Anspruch, das Meiste davon in Augenschein zu nehmen. Das ist eine Aufgabe, die längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Dabei macht es ungeheuer Freude zu sehen, wie reich, alt und unglaublich gut bestückt diese Sammlung ist.
Ihr Vorgänger Florian Hufnagl war ein leidenschaftlicher Jäger und Sammler. Wenn Sie in seinem Tempo weitermachen, würde das Ihre Depots bald sprengen. Wie weit ergänzen Sie die Neue Sammlung noch?
In der Hufnagl-Zeit ist sehr viel in die Sammlung gekommen. Aber das entspringt ihrem Anspruch, immer an der Aktualität zu arbeiten. Das Schlimmste ist, wenn Museen nach 30 Jahren sagen: Wir haben etwas verpasst und müssen es jetzt teuer nachkaufen. Darüber hinaus muss durch Ankäufe und aufgeforderte Schenkungen immer wieder ergänzt werden.
Das Angebot ist unendlich. Wie sieben Sie aus?
Unsere Welt ist heute relativ gut gestaltet, aber trotzdem ist nicht alles sammlungswürdig. Man sollte nur an den Spitzen arbeiten.
Welche ist in Ihren Augen die Mission der Neuen Sammlung?
Es geht um ein Abbild von Phänomenen im Bereich des Designs und der Gestaltung, einen Spiegel. Insofern ist es wichtig, dass man immer am Ball bleibt, denn die Fragestellungen und Entwicklungen gehen weiter, was sich physisch in den Objekten äußert, die wir sammeln. Beim Werkbund, aus dem Die Neue Sammlung entstand, ging es um Vorbilder, d.h. Geschmacksbildung und den sozialen Anspruch, Menschen mit guten Dingen zu versorgen und ihnen ein Gefühl für Qualität zu geben. Was man heute leisten kann, ist, Gedankenwelten zu öffnen, spannende Fragen nach neuen Formen, Materialien oder der Veränderung unseres Lebens durch Dinge und mit ihnen zu stellen. Dabei lassen sich oft brennende Themen der Gesellschaft darstellen und diskutieren – wie Mobility und Public Transport, was die ganze Bevölkerung betrifft und extrem viel mit Design zu tun hat. Oder nehmen Sie den Lebensraum, der immer enger wird. Wie schaut da das Wohnen mit optimierten Möbeln aus? In diesem Fall ist die Form gut, wenn sie flexibel, vielseitig und haltbar ist.
Was genau haben Sie in Ihrer Zeit in Nürnberg gezeigt?
Ab der Eröffnung im Jahr 2000 gab es dort erst mal eine Dauerausstellung mit Highlights der Design-Bestände der Neuen Sammlung, und das hat sich nicht verändert, bis ich 2007 kam; allerdings war es begleitet von jährlichen Sonderausstellungen und ergänzt durch kleinere wechselnde Sammlungspräsentationen im Design. Mit einer neuen Konzeption ab 2008 habe ich – zusammen mit der Neuen Sammlung – dafür gesorgt, dass sich Kunst und Design eng miteinander verschränken; das ist schon einmalig in Europa. So konnte deutlich werden, dass im Nürnberger Neuen Museum ein übergreifender Gedanke herrscht, anders als in der Pinakothek der Moderne, wo Kunst und Design zwar unter einem Dach sind, aber sich nicht gegenseitig berühren. Was wir in Nürnberg aufgrund der Sammlungsgeschichte natürlich nicht aus den Beständen leisten konnten, war das Einrichten von gemeinsamen Räumen Kunst und Design wie die Gegenüberstellung von einem Mondrian-Gemälde und einem dazu passenden Rietveld-Stuhl. Insofern haben wir uns für eine Insel-Lösung entschieden. Innerhalb eines Raumes hat man so eine Einheit. Und raumweise wechseln sich dann Kunst und Design ab, was man auf einer überschaubaren Größe von 3.000 Quadratmeter Präsentationsfläche sehr gut spielen konnte. Ich fand es nämlich schon immer falsch für zeitgenössische Museen, das Publikum wie beim Louvre sofort zu trennen: Der eine geht in die Antike, der andere schaut sich den Historismus an, der dritte die Mona Lisa. Auf unseren Nürnberger Ansatz hin haben wir sehr gute Resonanz bekommen.
Planen Sie in München ähnliche Veränderungen?
Generell gibt es immer die Überlegung: Wie arbeitet man an welchem Ort? Denn überall gibt es andere Möglichkeiten, Parameter und Herausforderungen. Hier geht es vor dem Hintergrund eines gewissen Generationswechsels und basierend auf der Erfahrung mit der Schaustelle darum, dass eine verstärkte und intensivere Zusammenarbeit der Häuser sinnführend erscheint. Das muss nicht sklavisch verordnet werden und jeder muss seine Autonomie behalten. Aber es wird dem Besucher gegenüber nur von Nutzen sein, wenn man immer wieder Sachen zusammen entwickelt.
Wie viele der 100.000 Objekte sind derzeit zu sehen, die Sie in sieben Depots lagern?
Absolut die Spitze des Eisbergs, vielleicht ein Promill. Aber das ist ein generelles Phänomen von Museen. Das muss man wie eine Art Gedächtnis, Speicher oder auch Vorratshaltung sehen. Aber natürlich soll möglichst viel aus den Depots auch mal zu Tage treten. Das tut es durchaus, nur nicht hier. Wir geben Leihgaben in die ganze Welt. Bei der Bauhaus-Ausstellung im MoMA war z.B. vieles von uns zu sehen. Das müssen wir nicht aus der Dauerausstellung rausnehmen, sondern verfügen über einen immensen Reichtum und können mit echter Qualität aus dem Vollen schöpfen.
Das Neue Museum in Nürnberg besticht durch seine transparente und einladende Fassade. Hier im Haus haben Sie einen wunderbaren Treppenabgang mit dem Flugobjekt von Colani, das quasi auf Ihre Abteilung verweist. Ist das noch zu toppen?
Das wird man nicht 50 Jahre so lassen können. Aber wenn man etwas ändert, muss es eine hohe Qualität haben. Generell ist das Foyer der Pinakothek der Moderne eine attraktive Situation mit seiner Kreisform, die für uns einerseits den spektakulären Abgang bietet, aber als Pendant einen Aufgang hat, der auch sehenswert ist. Die Frage ist, wie man mit der Architektur umgeht. Der Colani-Pfeil ist etwas, was diese Treppe zunächst noch einmal hervorhebt. Man muss allgemein im Haus schauen, wie man die Vorteile der Architektur noch pointieren kann.
Gibt es Pläne, anders auf Besucher zuzugehen?
Es gibt viele Ideen, aber die konkrete Umsetzung muss noch folgen. Denn man merkt, dass Vermittlung das große Thema ist und immer mehr Nachfrage kommt. Die Schulen können auf dem Feld der Education nicht alles leisten. Aber auch die Erwachsenenbildung ist wichtig, weil man immer mehr Freizeit hat und das Selbstverständnis steigt, sich in ihr mit kulturellen Dingen auseinanderzusetzen. Außerdem nimmt die globale Kommunikationstechnik zu. Für uns stellt sich die Frage, wie wir das begleiten können. Viele Menschen wollen immer noch das reale Ding sehen, aber unsere Klientel sitzt auch in Toronto oder Seoul, kann nicht unbedingt hier ins Haus kommen. Sollte man denen Die Neue Sammlung nicht auch im Internet erschließen? Dazu gibt es viele Überlegungen, so dass sich in den nächsten Jahren einiges ändern wird. Mit den neuen Entwicklungen ist man jedes Jahr auf andere Weise gefordert. Audio-Guides sind zum Beispiel schon nicht mehr so aktuell. Stattdessen sind jetzt Apps zeitgemäß. Auch bei uns wären Lösungen mit QR-Quode und Handy möglich. Aber die Frage ist, wie wir die Kosten stemmen. Vielleicht kann man da Sponsoren finden. Ein innovativer Schritt ist ab Ende Mai die erste Präsentation unserer riesigen und einmaligen Sammlung Höhne, die Abbild der gestalteten Dingwelt in den Jahren der ehemaligen DDR ist. Unsere Idee ist, deren Inventarisieren öffentlich zu machen. Bei "In Arbeit – Oder: Der Blick hinter die Kulissen" geht es nicht um eine formvollendete Ausstellung, bei der alles fertig ist. Vielmehr haben wir den Mut, das sichtbar zu machen, was sonst hinter den Kulissen passiert. Denn nicht zuletzt hat die Schaustelle gezeigt, dass es das Publikum schätzt, in Prozesse eingebunden zu werden. Vielleicht kann in der Ausstellung nicht so schnell gearbeitet werden wie sonst. Aber gleichzeitig gewinnen wir eine wertvolle Aufmerksamkeit und Transparenz.