Ramses leuchtet!
"München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen (...) spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und lichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem Sonnendunst eines ersten, schönen Junitags."
Ganz bewusst haben wir beim Entwurf von „Ramses leuchtet" dieses Zitat von Thomas Mann im Herzen gehabt. Denn schon vor zwei Jahren und jetzt wieder, als wir stundenlang durch Neuaubing-Westkreuz gefahren und spaziert sind, hat uns unglaublich gut gefallen, was wir dort gesehen haben. München leuchtet hier!
Was in der „offiziellen" Lyrik über München als „Schönheit" gilt, umfasst nur fünf Prozent des Stadtgebiets rund um den Viktualienmarkt. 95% des Stadtgebietes haben eine eigene, eine andere Schönheit – für die Menschen, die dort leben, und für uns urbanauten, die wir dort jetzt erste vorsichtige Schritte machen dürfen bei einer Entdeckungsreise an den Mittelpunkt der Erde für die Neuaubinger und Westkreuzer, die wir als Kooperationspartner der MGS, der Planungsreferats, des BAs und der SWM antreten dürfen.
Ausgesucht wurde dafür das Paul-Ottmann-Zentrum beim Ramses, weil hier die ersten energetischen Sanierungsmaßnahmen demnächst mit einem Wettbewerb beginnen: der „Viktualienmarkt" von Neuaubing-Westkreuz oder einer der „Viktualienmärkte", denn es gibt hier mehrere – neben dem Paul-Ottmann-Zentrum das Forum am Westkreuz, das Einkaufszentrum an der Wiesentfelserstraße und die Limesstraße.
Hier wollen wir – temporär – der erstaunlich aufregenden Architektur aus viel Sichtbeton, Wohnpyramide und jeder Menge Säulen eine neue spielerische und leichte – temporäre – Interpretation und Identität versuchen anzubieten. Mitbringen tun wir dafür eine Reihe temporärer Architekturen und Happenings, die wir in den letzten Jahren gemeinsam mit vielen anderen für urbanautisch-ständig-wechselnde öffentliche Räume entwickelt haben.
Möglich wird das Ganze dank der Unterstützung der MGS, der Stadt München, des BAs, der Stadtwerke, SBI Müller und der Südhausbau.
Da ist zum einen die temporäre Kunstinstallation „Convolvulaceae" (Windengewächs) der Münchner Künstlerin Anna Bischoff, die eine 17-köpfige Jury – u.a. mit Frau Prof. Merk, Stadträten, BA-Mitgliedern, diversen Architekturprofessoren – für wechselnde Orte für ein nicht ganz unbekanntes temporäres Kulturprojekt ausgewählt hat. Der 112 Meter lange leuchtend rote Sitzsack wird sich um die Säulen des Paul-Ottmann-Zentrums und des Ramses schlängeln und zum Verweilen und vielleicht auch – aufgrund seines verblüffenden Kontrastes zu den Quadraten der bestehenden Architektur – für Kopfschütteln oder Gesprächsstoff sorgen. Womit er genau seinen Zweck erfüllt hätte – Anlass für Kommunikation und Begegnung zu sein, der Stadtviertelgeschichte von Neuaubing-Westkreuz eine neue „Geschichte" eine neue „urbane Episode" hinzuzufügen, wie es Franz Pesch nennen würde in der „Zwischenstadt" von Tom Sieverts. Da der Sitzsack bis oben hin mit Dämmaterial gefüllt ist, dürfte er auch trotz der Tatsache, dass es sich am Samstag nicht um einen „ersten, schönen Junitag" handelt, zum Verweilen einladen.
Des Weiteren kommt Licht zum Einsatz – und zwar dank der neuen Möglichkeiten von höchst energiesparenden LEDs – in einem erstaunlichen, kabellosen Format. 60 riesige leuchtende, rote Ballons sollen nicht nur die manchmal etwas schwere Düsternis im abendlichen Paul-Ottmann-Zentrum erhellen (wie es die Gaslaternen einst in der Zeit Thomas Manns mit den festlichen Plätzen taten, darum: „München leuchtete"), sondern die Ballons laden auch am Samstag um Punkt 19.17 Uhr zu einem urbanen Happening ein – wenn die urbanauten von den Dächern des Einkaufszentrums einen Teil der Ballons unters Volk stupsen und zu einem Lichterspiel in der Nacht einladen. Das Ganz wird übrigens auch ein Film.
Begleitet werden die beiden großformatigen urbanen Experimente – der leuchtend rote Sitzsack und die leuchtend roten Ballons – von einem Bühnenprogramm mit Kabarett von der „Westkreuz Blosn", mit Singer-Songwriter-Musik von „The King of Cons" und am Abend einem Platten-Gelege von DJ Heller und künstlerisch überarbeiteten Leuchtprojektionen von, über und mit Neuaubing-Westkreuzern von VJ Sid Visions. Die beiden sind mit das Hippste und gleichzeitig Tiefschürfendste, (DJ Heller a.k.a. Marco Böhlandt hat vor Kurzem übrigens das Literstipendium der LH München erhalten, sozusagen der aktuelle Thomas Mann) was das Münchner Nachtleben derzeit zu bieten hat. Bis 22.00 Uhr oder wenn es die Anwohner wünschen – und der BA-Vorsitzende – bis 23.00 Uhr werden die beiden mit ihrem Spektrum von „Tanztee bis Triphop" das Paul-Ottmann-Zentrum „rocken" und die hellgrauen Wände des Ramses mit einem halben Dutzend Projektoren, ihrer künstlerischen Interpretation von Bildern aus Neuaubing-Westkreuz und über das Leben der Menschen im Viertel zum Leuchten bringen.
Überhaupt ist ja auch erster Advent und wir hoffen, dass der Glühwein und Gyros vom ansässigen Griechen „Anemos", der vom Einkaufszentrum-Inhaber Herrn Müller erstmals gestiftete Weihnachtsbaum, die Informationsangebote der MGS, das wohlige Lichterrot der Ballons, Kinderspiele von der Spiellandschaft Stadt und Energiemodule von Green City, die Gemütlichkeit der Sitzsacklandschaft und die visuellen, gebeamten Geschichten über Neuaubing-Westkreuz die Menschen aus dem Westkreuz, aber auch Neuaubing zu einer gemeinsamen „Weihnachtsfeier im öffentlichen Raum" ins Paul-Ottmann-Zentrum locken. Und auch die Münchnerinnen und Münchner aus den anderen Stadtvierteln sind herzlich von den Neuaubing-Westkreuzern in die Vorstadt eingeladen.
Der „Himmel von blauer Seide" wird sich am Samstag übrigens über den „letzten schönen Novembertag" in Neuaubing-Westkreuz spannen, während die letzten Blätter von den Platanen fallen und die Senioren, Migranten und urbanauten im Lichtermeer der Großstadt unter der westkreuzenden Ramsespyramide den Ausklang eines aufregenden Lebensjahres auf dem festlichen Platz mit den weißen Säulentempeln des Paul-Ottmann-Zentrums feiern.