Bellevue di Monaco | Über erfolgreichen Widerstand, die sinnvolle Erhaltung von Bestandsbauten und architektonische Antworten auf soziale Missstände.
Im April hat die Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco von der Stadt München einen Pachtvertrag über 40 Jahre für die Müllerstraße 2-6 bekommen. muenchenarchitektur sprach mit Aufsichtsratmitglied Till Hofmann und Architekt Matthias Marschner, Partner bei Hirner & Riehl Architekten.
Ein Abriss der Gebäude Müllerstraße 2-4 war 2013 von Seiten der Stadt München beschlossene Sache. Stattdessen setzte sich die Initiative Bellevue di Monaco für den Erhalt des Bestands ein. 2015 gründete sie eine Sozialgenossenschaft; 2016 erhielt diese einen Pachtvertrag für 40 Jahre, um mit einem neuen Zentrum für Unterbringung und Kulturarbeit das Thema Flucht und Migration ins Herz der Stadt zu bringen.
Wie sind Sie als Architekt zu Bellevue di Monaco gekommen?
Matthias Marschner:
Ich bin dazu gestoßen, als es noch als Goldgrund-Projekt um den Widerstand gegen die Verlegung des Bolzplatzes durch die Stadt ging. Weil meine Kinder den benachbarten Kindergarten im Bürgerhaus Glockenbachwerkstatt besuchten, waren wir direkt betroffen. Wenn das Areal wie geplant überbaut worden wäre, hätte das einen großen Verlust bedeutet, weil es hier in der Stadtmitte kaum Außenflächen mit einer sozialen Funktion gibt. Über unseren erfolgreichen Einsatz sind dann die angrenzenden Gebäude Müllerstraße 2-6 in den Fokus gerückt, die bis auf einzelne Mietwohnungen seit zehn, zwölf Jahren leer standen. Als ihr Eigentümer ging die Stadt München von einer sehr hohen Sanierungssumme der zwischen 1880 und den 1960er Jahren gebauten Häuser aus, wollte daher alles abreißen und für rund sieben Millionen Euro neu bebauen. Wir aber waren der Ansicht, dass es sich lohnt, anders auf den Bestand zu schauen und ihn zu erhalten.
Begonnen hat Bellevue di Monaco mit einem echten Paukenschlag...
Till Hofmann:
Um klar zu machen, dass man auch mit wenig Aufwand sinnvoll sanieren kann, haben wir Anfang März 2013 in der Müllerstraße 6 die Wohnung eines Flüchtlings aus Somalia in einer gemeinsamen Nacht-und-Nebel-Aktion hergerichtet. An ihr waren u.a. Marcus H. Rosenmüller, die Sportfreunde Stiller, Luise Kinseher und Mehmet Scholl mit Gorillamasken verkleidet beteiligt; das Video hat hohe Wellen geschlagen und für ein großes Medienecho bis hin zum heute-journal gesorgt. Daraufhin musste sich die Stadt noch mal mit dem Thema auseinandersetzen und ist insofern zurückgerudert, dass zumindest der Bolzplatz und die Müllerstraße 6 erhalten bleiben sollten. Um das Gleiche für die Müllerstraße 2 und 4 zu erzielen, sind wir als kreativer, gewaltfreier Haufen weiterhin lästig geblieben. Als 2014 immer mehr Flüchtlinge kamen, für die wir im Rahmen eines Aktionsbündnisses mehrere Großkundgebungen unter dem Motto „Platz Da? Gemeinsam gegen Rassismus, Pegida & Hetze" veranstaltet haben, entstand das Konzept von Bellevue di Monaco, mit einem Zentrum für Unterbringung und Kulturarbeit das Thema Flucht und Migration vom Rand ins Herz der Stadt zu bringen. 2015 nahm der Stadtrat den Abrissbeschluss für die Müllerstraße 2-6 zurück und beschloss, das Ensemble dem von uns vorgeschlagenen Zweck zu widmen. Ende März 2015 haben wir eine gemeinnützige Sozialgenossenschaft gegründet.
Zu welchem Zweck?
Till Hofmann:
Damit möglichst viele Unterstützer Anteile erwerben, um für das Stammkapital zu sorgen. Den Rest der notwendigen Gelder für Sanierung und Unterhalt der drei Gebäude, für die wir im April 2016 einen Pachtvertrag über 40 Jahre unterzeichnen konnten, müssen wir über Spenden, Stiftungen und andere Töpfe akquirieren. Die Stadt München gibt einmalig 1,7 Millionen.
Matthias Marschner:
So etwas bindet sich nicht jeder ans Bein, denn daraus kann man kein Kapital schlagen. Stattdessen muss man noch Geld mitbringen und braucht ein sehr idealistisches Netzwerk, um mit den speziellen Gegebenheiten umzugehen.
Till Hofmann:
Wir übernehmen jede Menge Verantwortung, die sich momentan noch auf wenige Schultern verteilt. Dazu gehören seit Kurzem drei festangestellte Kräfte, die sich – allerdings nicht in Vollzeit – u.a. um das Controlling kümmern. Trotzdem fühle ich mich total gut und bin zuversichtlich, dass wir noch mehr Genossen werben können, die sich nicht nur mit Geld einbringen. In der Generalversammlung der Gesellschafter werden höchst demokratisch Entscheidungen gefällt. Der Aufsichtsrat prüft uns als Vorstand.
Wie geht es jetzt konkret weiter?
Matthias Marschner:
Die Müllerstraße 2, in der früher ein Laden war, haben wir mit einer Freiwilligenaktion so weit hergerichtet, dass in Büros und Veranstaltungsräumen ein Minimalbetrieb auf zwei Etagen möglich ist. Als nächstes steht ab September die Müllerstraße 6, dann drei Monate später die Müllerstraße 4 an. Dafür haben wir verschiedene Fachfirmen engagiert, die als Partizipationsprojekt jeweils mit einem Meister und Praktikanten arbeiten, die als Qualifizierungsmaßnahme für Flüchtlinge kontinuierlich beschäftigt sind. Wenn sie gut sind, haben sie die Option auf einen Lehrlings-Vertrag. Nach der Fertigstellung werden die Räume für maximal sieben Euro pro Quadratmeter an minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge und Flüchtlings-Familien vermietet: In der Müllerstraße 6 entstehen mit minimalen Eingriffen zwei Doppel-WGs mit jeweils zwei Zimmern, gemeinsamen Bad und Küche. In der Müllerstraße 4 wird an den Räumen noch weniger verändert. Allerdings muss einiges für die Haustechnik getan werden, weil da z.B. elektrische Leitungen hochgradig unsicher sind und einige Wohnungen keine Heizungen haben. Wo derzeit noch der Pedalhelden-Laden ist, soll am Ende des ersten Bauabschnitts ein Café inklusive Beratungs- und Erstanlaufstelle entstehen, das wir organisieren und Geflüchtete betreiben. Den Eingriff in den Bestand so minimal wie möglich zu halten, gilt auch für die Fassaden. Die qualitätsvolle 50er Jahre-Architektur der Müllerstrasse 6 können wir weitgehend original erhalten. Efeu und wilder Wein sollen an den Fassaden der Müllerstrasse 2 und 4 möglichst ungestört weiterranken. Da das Ensemble trotzdem als solches erkennbar sein soll, wird ein „goldenes Band" appliziert, das gemeinsam mit der Beschilderung aus Lichtpunkten eine Referenz der Entstehungsgeschichte darstellt. Bellevue di Monaco ist für mich ein Leuchtturmprojekt, das es meines Erachtens in jeder Stadt geben sollte.
Till Hofmann:
Mit kleinen, zentral gelegenen Einheiten kann Integration gelingen. Nur so ist es möglich, dass sich Menschen auf Augenhöhe begegnen, ein homogenes Ganzes entsteht. Nicht nur die Flüchtlinge können von uns lernen, sondern auch wir von ihnen, denn sie bringen abgesehen von einer fremden Sprache viele andere Fähigkeiten mit.
Wenig Zeit, beschränkte Mittel: Wie gehen Sie als Architekt mit solchen Vorgaben um?
Matthias Marschner:
Wir haben erst einmal jede Leitung, jede Wand unter die Lupe genommen, um herauszufinden, was erhalten werden kann, was neu gemacht werden muss. Darauf basierend haben wir beschlossen, den Bestand zu erhalten und das Geld bei den notwendigen, bedarfsgerechten Veränderungen eher in Arbeit als in Materialien zu stecken. Insofern ist keine große architektonische Linie möglich. Aber um die geht es hier auch gar nicht. Insgesamt bietet das Projekt einen großen Gestaltungsspielraum, wenn auch nicht im architektonischen Sinn. Bei diesem modellhaften Projekt, das in Deutschland keine Parallelen hat, war der gemeinsame Prozess des Entstehens sehr wichtig. Fakt ist, dass man hier – ganz anders als bei herkömmlichen Bauaufgaben – Verantwortung für die Gesellschaft tragen kann. Unsere Branche ist wegen des Starkults um Architekten, des Bilbao-Effekts, ein bisschen in Verruf geraten. Die Botschaft der diesjährigen Biennale in Venedig ist, dass sich unsere Zunft zu lange nur mit sich statt mit den realen Problemen der Welt beschäftigt hat. Aber es ist möglich, sich im Licht der aktuellen Ereignisse neu zu erfinden, architektonische Antworten auf soziale Missstände zu geben.
Interessanterweise liegt das Bellevue di Monaco schräg gegenüber von einem der exklusivsten Immobilien-Objekte Münchens – The Seven.
Matthias Marschner:
Das ist wirklich ein krasses Kontrastprogramm. Bellevue di Monaco ist für mich so etwas wie ein Stachel im Fleisch eines der schlimmsten Auswüchse der Münchner Immobilien-Blase, der vielleicht auch andere wachrüttelt. Gemeinsam können Bürger durchaus deutlich sagen, dass sie den Ausverkauf ihrer Stadt stoppen möchten.