Stadtbaurätin Elisabeth Merk und Stadtplanerin Sophie Wolfrum über Dichte, Verkehr und blockierende Bewohner und wie das alles mit Urbanität zusammenhängt.
Im Rahmen der Münchner Gespräche zur Stadtbaukultur diskutierten Stadtbaurätin Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk und Prof. Sophie Wolfrum, freie Stadtplanerin und Professorin am Lehrstuhl für Städtebau und Regionalplanung der Technischen Universität, München über strukturelle Hemmnisse für die strategische Entwicklung Münchens: Der Bodenmarkt, das Verkehrsnetz, gesellschaftliche Hindernisse.
Ein Gesprächsauszug der Veranstaltung letzten Montag in der Architektenkammer:
Wolfrum: Ich glaube, dass eine Stadt auf architektonisch-strukturelle Eigenheiten setzen und diese ausbauen muss, um zu einer charakteristischen Stärke zu gelangen. Ich bin der Überzeugung, dass die daraus trotz Globalisierung entstehende Individualität von Städten entscheidend dafür ist, wie sich die Bewohner darin zu Hause fühlen.
Merk: Die alleinige Übersetzung in einen Bebauungsplan reicht dafür aber nicht aus. Eine andere Strategie, die gerade immer wieder diskutiert wird lautet: Ich brauche gute Häuser. Gute Häuser sind zwar schon mal besser als schlechte, aber dann habe ich immer noch nicht die Qualität des Urbanen, des öffentlichen Raumes und der gestalteten Stadt gesichert...
Wolfrum: Ich glaube nicht, dass alle Häuser toll sein müssen. Eine Stadt besteht auch aus „banalen" Häusern. Die Straßenräume sind wichtig und die öffentlichen Gebäude. Das sind die Knoten in einem Stadtviertel. Dazwischen haben wir in München eine Kultur der Parks, die als Schnittstelle zu den anderen Stadtteilen wirken. Es ist aber entscheidend, dass die Abstandsflächen vermittelnde Räume sind, also Aufenthalts- und Identifikationsräume. Man muss einzelne Identifikationskerne schaffen, anstatt auf jedes Haus zu schauen.
Frage aus dem Publikum: Ich hätte es gerne etwas konkreter. Bei der Gestaltung neuer Viertel fehlt mir die Durchmischung von Wohnen und Gewerbe. Lieber einen verkorksten Park als Quadratkilometer Häuser ohne Café oder Lädchen.
Wolfrum: Da gebe ich Ihnen Recht. Es ist ein Dilemma, dass wir laut Planungsrecht alles in säuberliche Gebietskategorien füllen müssen. Die Radikalität der Baunutzungsverordnung, das Instrumentarium, mit dem Frau Merk arbeiten muss, ist eines aus der Moderne, als man glaubte, die Funktionen trennen zu müssen. Heute weiß man, dass man Durchmischung braucht, um Urbanität zu erzeugen. Wir müssten eigentlich das Erdgeschoss in Wohngebäuden wieder für andere Nutzungen öffnen. In der Hafencity Hamburg sind zum Beispiel für das Erdgeschoss sechs Meter Höhe vorgeschrieben, damit es möglich ist, dass im Erdgeschoss eine andere Nutzung als Wohnen einzieht. Können wir das nicht auch für München machen?
Merk: Es gibt auch in München solche Versuche, zum Beispiel in Riem. Es kam nur niemand, der es mit diesen Nutzungen ausgefüllt hat. Wo die normale Marktwirtschaft dieses Konzept einlösen soll, funktioniert es eher nicht. Selbst in der Hafencity muss es subventioniert werden. In Geschäftsstraßen funktioniert das, aber sicher nicht flächendeckend.
Wolfrum: Es geht mir aber nicht um einzelne Straßen. Es geht mir darum, das Konzept der erweiterten Nutzungen im Erdgeschoss großflächiger zu verteilen und das mit einem Bonus der höheren Ausnutzung in den oberen Geschossen zu belohnen. Dann müsste das doch auch für Investoren interessant sein.
Merk: Das finde ich ja auch gut, aber in der Realität ist das schwierig umzusetzen. Weil wir das zusätzliche Geschoss, das wir erlauben müssten, damit sich das Konzept rechnet, gar nicht haben. Wir operieren schon an den Grenzen. Die Mehrheit der Stadtgesellschaft, in den Bezirksausschüssen, im Stadtrat will nicht noch dichter oder noch höher bauen. Ein Stadtrat wird das Konzept aber mittragen, wenn die Akteure der Stadt glaubhaft versichern: das finden wir eine gute Idee. Und die Akteure sind die Bürger vor Ort. Aber dann müssen sie dort auch einkaufen. Da wird es dann schon schwieriger. Denn das müssen sie sich erstmal leisten können.
Wolfrum: Eine solche Erdgeschossnutzung muss ja nicht nur aus Geschäften bestehen, auch Büros wären denkbar, oder eine kleine Werkstatt.
Merk: Wir können das aber nicht erzwingen, sondern höchstens subventionieren. Beispiel Freiham: Dort war ein großes schachtelförmiges Einkaufszentrum geplant. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um diese Handelsnutzungen kleinteiliger zu organisieren. Die Einzelhandelsbranche hat der Politik die Türen eingerannt mit der Befürchtung, das funktioniere nicht. Außerdem können Investoren Wohnungen im Erdgeschoss um das zigfache teurer vermieten als einen geförderten Schrauberladen. Ich bin aber gewillt, das Konzept bei der Bayernkaserne einmal flächendeckender zu versuchen.
Wolfrum: Es müsste doch in einer Stadt, in der jeder gerne bauen möchte, die Strategie einer Balance zwischen immer noch lohnender Investition und einem Beitrag zum urbanen Raum möglich sein.
Merk: Wir haben ein paar größere Quartiere, wo das gerade passiert. Das Werksviertel zum Beispiel ist mit einer relativ klassischen Planung angetreten, die aus einem Wettbewerb resultierte. Dann ist lange nichts passiert. Das war vielleicht in diesem Fall ganz gut, sonst hätte man es quadratisch, praktisch, gut umgesetzt. Mittlerweile gibt es einige Akteure – vor allem Herr Eckart – der ganz stark nochmal umorganisiert und umgeplant und auch mehr Bestandselemente aufgegriffen hat. Er hat versucht, einige der kulturellen Nutzungen, die ja dort schon sind, zu überführen. Das ist nicht so einfach, weil sich temporäre Nutzungen kaum in Schemata reinpressen lassen. Im Werksviertel hatten sich aber Teilbereiche der Kreativszene schon angesiedelt und in Kombination mit einem hervorragend erschlossenen ÖPNV-Standort und der Konzertsaal-Setzung wird sich dort vermutlich Urbanität entwickeln. Da gibt es mit Herrn Eckart aber einen Intendanten, der relativ große Flächen alleinig in Besitz hält, der Regie führen kann...
Wolfrum: Vielleicht können wir uns noch einen Punkt anschauen: Die Stadt München wächst und hat ein großes Wohnungsproblem. Die Frage ist: Können wir die Lösung zum großen Teil Baugenossenschaften überlassen, die ja für ihre eigenen Mitglieder bauen? Müssen wir nicht Mietwohnungsbau betreiben in Masse? Können wir ein neues Neuperlach hinstellen – so richtig klotzen?
Merk: Ja, wir müssen richtig klotzen. Wir haben aber keinen Zugriff auf Flächen in der Größenordnung wie Neuperlach. In München stellt sich die Frage: Wo gibt es überhaupt noch große Entwicklungsgebiete? Im Moment überarbeiten wir gerade den Münchner Nordosten mit großen Strukturkonzepten. Dort haben wir das Problem, dass wir schon vielfältige Nachbarschaften haben. Menschen die dort heute schon wohnen. Hier müssen wir viel Mitsprache einräumen, wir können nicht über die Köpfe der Bürger enstscheiden. Oft werden die Dinge gegeneinander verhandelt und blockieren sich dann komplett. Ich glaube, wir müssen aus einer sich wechselseitig wehrenden Kultur hin zu einer gemeinsamen konzeptionellen Kultur kommen.
Frage aus dem Publikum: Inwiefern ist es notwendig, ein Leitbild zu erstellen, wie eine gewachsene Stadt sich entwickeln kann. Wäre es eine Idee, das Wohnen zum Arbeiten zu bringen?
Merk: Wir sind dieses Jahr sehr optimistisch gestartet, weil das Bundesbauministerium angekündigt hatte, es solle eine neue Gebietskategorie „urbane Gebiete" geben", wo man das Wohnen besser zum Arbeiten bringen kann. Das Ganze verzögert sich, weil wir ganz normalen Gewerbelärm, und den haben wir auch bei Büros, in Rechnung stellen müssen, als wäre das Industrielärm. Das ist sehr schwierig zu verhandeln.
Wolfrum: Wenn wir Wohnen in die Gewerbebiete bringen, würden wir einen Anreiz liefern, die Bodenpreise steigen zu lassen.
Merk: Ein anderer Knackpunkt ist die Mobilitätsfrage. In die Gebiete müssen Sie ja hinkommen. Nicht alle haben S-Bahnhalte. Manche sind Enklaven in sehr heterogenen Einfamilienhausgebieten, wo Sie dann zwei Möglichkeiten haben: Sie erschließen das neue Areal mit einer neuen schönen fetten Erschließungsstraße quer durch den Grüngürtel – das will keiner, oder Sie müssen durch den Bestand durch – schwierig.
Frage aus dem Publikum: Nachdem die Problematik darin liegt, dass sich Bewohner gegen Nachverdichtung wehren, stellt sich die Frage, warum nicht von Anfang an dichter bebaut wird, um Urbanität zu schaffen.
Merk: Wir versuchen ja. Glücklicherweise ist schon erkennbar, dass auch die politischen Vertreter in den Bezirksausschüssen und im Stadtrat aber auch die Stadtgesellschaft langsam in einen Umdenkprozess gerät. Vor zehn Jahren war das noch anders. Da durfte man das Wort „Nachverdichtung" gar nicht benutzen. In Freiham ist leidenschaftlich darum gestritten worden, ob man mehr als 1,0 Dichte bauen darf. Wir sind da schon etwas weiter, aber am Ende der Debatte geht es immer um die Wiese und um die Höhe. Der Knackpunkt ist die Mobilität. Wenn wir doppelt so dicht bauen, fahren doppelt so viel Autos dahin und doppelt so viele Infrastruktureinrichtungen werden nötig.
Frage aus dem Publikum: Warum ist es so schwer, dass wir in München ein bisschen höher bauen? Sind den Bürgern die Potenziale nicht bewusst?
Merk: Viele assoziieren Höhe mit dem klassischen sozialen Geschosswohnungsbau der 1970er Jahre, der sowohl gestalterische als auch infrastrukturelle Probleme hatte. Außerdem sind Hochhäuser teuer. Deshalb ist das wohl nicht die Lösung für das Münchner Wohnbauproblem. Gleichwohl sehe ich Potenziale. Es geht aber nicht um die Höhe allein: es geht darum, wie so ein hohes Haus auf den Boden kommt, was es für ein urbanes Setting unten generiert. Das kriegen wir bisher nicht gut gelöst, auch deswegen, weil wir das alles in Realteilungen denken müssen. Schauen Sie sich Isar Süd an: Das war ursprünglich mal ein Wettbewerbsentwurf mit einem sehr fließenden öffentlichen Raum drumherum, zugegebenermaßen nicht sehr urban aber grün. Und jetzt beginnen die dort irgendwelche Zäune hinzubauen und einzelne Tiefgaragen. Wenn Projekte nicht aus einer Hand produziert werden, ist es ganz schwierig, eine guten Gesamtgestaltung hinzukriegen.
Wolfrum: Die Frage wie man Entwicklung in einer Stadt ordentlich steuert ist tatsächlich sehr komplex. Dabei verliert man oft den Fokus, dass wir eigentlich eine lebenswerte, schöne, auch für unsere Kinder liebenswerte Stadt bauen wollen. Dafür brauchen wir zentrale Identifikationspunkte und eine gewisse Dichte.