Seit 2012 nutzt die Genossenschaft KunstWohnWerke eine ehemalige Kleiderfabrik im Münchner Osten als Arbeits- und Wohnraum. Mitgründerin und Architektin Susanne Flynn erklärt den langen Weg zu diesem Projekt, der für sie ein wichtiger Lernprozess war.
Frau Flynn, Sie waren maßgeblich an der Gründung der Genossenschaft KunstWohnWerke beteiligt. Wie ist es zu diesem Projekt gekommen?
Die Erhaltung bestehender Bausubstanz, deren Zwischennutzung, die Mischung von Wohnen und Arbeiten sowie Genossenschaften waren schon immer mein Thema – nicht nur architektonisch, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Angefangen hat dieses Interesse während meines Studiums, das ich 1984 mit einem Sonderdiplom in Städtebau zum Thema Wohnumfeldverbesserung in einer 60er Jahre-Siedlung abgeschlossen habe. Danach war ich zuerst in einem Stuttgarter Büro für Museums- und Ausstellungsarchitektur und habe es schon dort genossen, interdisziplinär mit Leuten aus anderen Bereichen zusammen zu arbeiten. Ab 1988 konnte ich mich am Münchner Entwurfslehrstuhl von Professor Hermann Schröder mit neuen Wohnformen auseinandersetzen; die Publikation „Anders Wohnen" von Klaus Novy war meine Bibel. Ab 1992 habe ich mit meinem Mann, dem Maler David Flynn, und anderen Künstlern den partizipatorischen Gedanken zum ersten Mal in einem größeren Projekt in die Tat umgesetzt.
Welches war das?
Zehn Jahre lang waren wir mit Ateliers und Büros Mieter einer Jahrhundertwende-Fabrik im Schlachthofviertel; im Vorderhaus wurde per Zufall eine Wohnung frei, die David und ich bekamen – für uns die fast perfekte Mischung aus Wohnen und Arbeiten, aus der wir aber wieder ausziehen mussten. Weil wir es leid waren, von uns mit viel Mühe hergerichtete und gerne genutzte Räume immer wieder zu verlieren, haben wir als Eigeninitiative von Kreativen nach einer dauerhaften Lösung gesucht – ein schwieriges Unterfangen.
Warum war das so kompliziert?
Erst hatten wir ein Gebäude in der Schillerstraße in Aussicht, dann eines am Ackermannbogen, schließlich eines in der Goethestraße. Keiner der drei Standorte hat aber aus unterschiedlichen Gründen geklappt. Parallel zur Suche mussten wir die passende Rechtsform für unser Vorhaben finden. Wohnungsgenossenschaften gab es zwar schon lange, aber keine Mischformen für Wohnen und Arbeiten. Ende 2006 haben sich dann die gesetzlichen Vorgaben geändert, sodass wir 2007 eine Genossenschaft zum Wohnen, Arbeiten sowie kulturelle und soziale Zwecke gründen konnten. Nach einem Artikel über uns bekamen wir von Eigentümern ein Objekt angeboten – die Streitfeldstraße 33 in einem Gewerbegebiet im Münchner Osten.
War das Objekt Liebe auf den ersten Blick?
Die ehemalige Kleiderfabrik Kuszner besteht aus zwei spröden Gebäuden aus den 60er und 70er Jahren und liegt außerhalb des mittleren Rings. Mit diesem Objekt waren nicht alle Genossenschaftsmitglieder zufrieden. Dafür haben sich andere gefunden, die sowohl seinen Charakter als auch den Standort mögen. Insgesamt gibt es jetzt 45 Einheiten von 20 bis 100 Quadratmetern als Arbeitsräume im Vorder- und Rückgebäude, weitere acht werden bewohnt. Im Projekt- sowie Gemeinschaftsraum und Hof haben wir großen Spielraum für unsere Ideen, die von Ausstellungen über Feste bis hin zu Konzerten, Lesungen und Performances reichen. Unter dem Motto „Reduce, Reuse, Recycle" haben wir nach dem Erwerb 2010 so viel wie nötig für unsere Bedürfnisse umgebaut und saniert. Fertig sind wir aber noch nicht, weil unsere Mittel begrenzt sind. Jeder Genosse hat einen Genossenschaftsanteil von 1.500 Euro gezeichnet und ein Eintrittsgeld von 70 Euro gezahlt. Dazu kommt eine einmalige Einlage je nach der genutzten Fläche innerhalb der beiden Gebäude. Eigentümerin des Grundstücks ist die Stiftung trias, an die wir Erbbauzins bezahlen. Bei einem weiteren Projekt, das schon angedacht ist, könnten die Bedingungen anders aussehen.
Wie fühlen Sie sich, nachdem jetzt endlich Ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist?
Sehr stolz. Ich war genauso wie mein Mann immer überzeugt, dass es klappt. Bis 2016 war ich im Vorstand unserer Genossenschaft: Projektentwicklung, Finanzierung, Planung und der Umbau mit energetischer Sanierung durch das Münchner Architekturbüro Holzfurtner und Bahner waren eine extrem arbeitsintensive Zeit, in der ich permanent dazu gelernt habe. Seither sitze ich im Aufsichtsrat, auch um wieder mehr inhaltlich arbeiten zu können. Mittlerweile hat sich alles gut eingespielt und bewährt. Zum Glück haben wir sehr viel Unterstützung durch die Wogeno eG und FrauenWohnen eG bekommen, die über reichlich Erfahrung rund um Genossenschaftsgründungen verfügen. Ganz wichtig war bereits lange im Vorfeld die Begleitung durch den 2008 verstorbenen Architekten Thomas Hartmann. Im Rahmen des 1973 gegründeten Vereins Urbanes Wohnen hatte er seit Anfang der 90er Jahre die Beratung von Wohngruppen etabliert und sowohl jede Menge Knowhow und als auch gute Kontakte. Im Gegenzug habe ich mich dort seit 2006 engagiert und bin u.a. im Rahmen der WohnWerkstatt bis heute dabei geblieben. Als interdisziplinäres Team berät sie Interessierte und Projektgruppen zu den Themen Gemeinschaftsorientiertes Wohnen und Neue Nachbarschaften. Kommunen begleiten wir bei Beteiligungsprozessen. In beiden Bereichen ist die Nachfrage groß.
Von städtischer Seite gibt es seit 2014 die Mitbauzentrale mit ähnlichen Aufgaben. Ist das Konkurrenz für Sie?
Nein. Unser Schwerpunkt liegt auf ganz Bayern, wo wir eine der drei Regionalstellen für das Forum Gemeinschaftliches Wohnen sind; mit den Akteuren in Nürnberg und Regensburg arbeiten wir immer wieder zusammen. Zentrale Anlaufstelle für die Landeshauptstadt ist seit drei Jahren die Mitbauzentrale München, die besonders intensiv im Bereich von Neubaugrundstücken berät. Mit ihr kooperieren wir ebenso viel wie gut und haben z.B. gemeinsam mit ihr und der Münchner Volkshochschule den Wohnprojekttag 2017 im Gasteig ausgerichtet, der 1995 gegründet wurde und sich seither mit den Aktiven in der Szene weiterentwickelt.
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