Herr Hofmann, Sie haben gerade den DAM Preis 2018 für die Wohnanlage wagnisART bekommen, herzlichen Glückwunsch!
Darüber freuen wir uns sehr. Aber er ist nicht der einzige. 2016 wurden wir schon mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet, 2017 mit dem DGNB Preis „Nachhaltiges Bauen". Beim Deutschen Landschaftsarchitektur-Preis 2017 bekamen wir eine Auszeichnung in der Kategorie Partizipation und Planung, beim Deutschen Architekturpreis 2017 eine Anerkennung. Auch für den Deutschen Bauherrenpreis 2018 und den Preis der Metropolregion München ist wagnisART nominiert.
Womit erklären Sie sich diesen hohen Grad an öffentlicher Anerkennung?
Das verdanken wir verschiedenen glücklichen Umständen. Seit drei, vier Jahren gibt es einen großen Fokus auf den Wohnungsbau. Dieser wurde lange Jahre wie ein Stiefkind behandelt. Der immense Druck und der weiterhin steigende Bedarf auf dem Münchner Wohnungsmarkt sorgen für eine Notwendigkeit, neu über diese große Aufgabe nachzudenken.
Hat wagnisArt dabei eine Vorbildfunktion?
Bei diesem Projekt wurde nicht massenkompatibel gebaut, sondern im Miteinander auf außergewöhnliche Art eine Anlage entwickelt, die verschiedenste Nutzungsarten und Wohnungsformen eng verzahnt. Dabei hat sich auch unsere Rolle als Architekt verändert. Gemeinhin versuchen wir, die Autonomie des Architekten zu verteidigen. Wir haben hier das Gegenteil durchgespielt, bei dem wir die ganze Planungsgruppe in und für die Planung aktiviert haben und den Planungsprozess eher moderierend oder, sagen wir, dirigierend steuerten. Unserer Meinung nach wird das Interesse an neuen Wohnformen, anderen Formen des Zusammenwohnens und Planens weiter zunehmen mit dem Ziel, Projekte zu generieren, die einerseits individuelle Rückzugsmöglichkeiten schaffen, aber auch viel Gemeinschaft bieten.
Wie kamen Sie in Kontakt mit der Münchner Wohnungsbaugenossenschaft wagnis?
Für wagnis 3 in der Messestadt Riem gab es eine Mehrfachbeauftragung, die wir 2008 als damals noch relativ junges Büro gewonnen haben. Dieses Projekt haben wir dann durch alle Leistungsphasen geplant und realisiert. Das Ganze war wegen der Lage nicht leicht zu vermarkten und auch ansonsten nicht unkompliziert, weil wir viel Rücksicht auf die einzelnen Genossen mit extrem individuellen Vorstellungen nehmen mussten. Insofern haben wir da einige Federn gelassen.
Warum hat es Sie trotzdem gereizt, bei wagnisART wieder ins Rennen zu gehen?
Wir wussten, auf was wir uns einlassen und konnten den Grad an Individualisierung der Einzelwohnungen deutlich geringer halten. Insgesamt standen ursprünglich circa zehn Architekturbüros zur Auswahl, drei kamen in die engere Wahl: Schindler/Hable Architekten, Peter Haimerl und wir. Jeder von uns sollte zu Beginn ein eigenes Baufeld planen. Letztendlich lief es auf ein gemeinsam geplantes Projekt hinaus. Zusammen mit Schindler/Hable haben wir dann eine ArGe gegründet und sind in einen spannenden, neuen Planungsprozess eingestiegen.
Was war daran so besonders?
Der Mehrwert von Partizipation ist, dass gemeinschaftlich mit den Genossen entwickelt wird. Dabei hatten wir nicht die Aufgabe einer Gestaltungspolizei mit festen Vorstellungen, sondern waren Teil eines iterativen Prozesses, der zu dieser ungewöhnlichen Form geführt hat: fünf Passivhäuser mit 138 Wohnungen, die durch Brücken verbunden sind. Diese Form wurde letztendlich mit Pappkartons entwickelt und dann in einem zähen Prozess von uns in Architektur übersetzt. Außergewöhnlich sind auch die vielen Gemeinschaftseinrichtungen von Innenhöfen über Ateliers, zwei intensiv begrünte Dachterrassen und sehr große, helle Treppenhäuser bis hin zu Bibliothek, Wasch-Café, Werkraum und Praxen. Bei den Wohnungen gleicht – ein Geschoss betrachtend – vom Zuschnitt her keine der anderen, wobei natürlich gewisse Standards wie Fensterhöhen oder Schrankzonen berücksichtigt wurden. Insgesamt gab es einen maximalen Möglichkeitsraum mit eigenem Regelwerk.
Was hat es mit den sogenannten Clustern auf sich?
Das sind acht Wohnungen mit einer Maximalgröße von 400 Quadratmeter, in denen fünf bis acht Leute zusammenleben. Die meisten der Bewohner haben einen circa 35 Quadratmeter großen Schlaf-Wohnraum mit Kochzeile und Bad. Dazu kommt ein großer Bereich, der unter den Clusterbewohnern geteilt wird. Darauf muss man sich einlassen, weil man direkt aus seinem Privatbereich heraus in die Gemeinschaft tritt. Insofern hat es etwas gedauert, bis alle Einheiten vergeben waren. In einigen Clustern geht es mittlerweile sehr familiär zu, andere sind etwas distanzierter. Aber alle schätzen die gemeinschaftlichen Flächen zur Begegnung. Unserer Ansicht nach ist das durchaus eine Antwort auf die zunehmende Vereinzelung in Großstädten, ein Zukunftsmodell für Menschen, die auch mal für sich sein, aber grundsätzlich nicht allein leben und vieles miteinander teilen wollen. Etwas Ähnliches gab es interessanterweise schon 1972 in Hamburg Steilshoop. In der Kalkbreite in Zürich, die wir uns genau angeschaut haben, wurde das Modell auf moderne Art weiterentwickelt.
Haben sich Ihre Ideen in der Praxis bewährt?
Der Widerhall ist gut. Bislang gab es keine wesentlichen Beschwerden Die Nutzerzufriedenheit ist bei den rund 180 Bewohnern – darunter viele Architekten, Heilpraktiker, Künstler und Designer – erstaunlich groß. Man hat den Eindruck, dass die Bewohner stolz sind auf ihr wagnisART. Das Projekt scheint auch nach Bezug zu funktionieren. Die Bewohner haben sich – auch durch die Partzipation und das gemeinsame Tun – eine Nachbarschaft geschaffen, die vor der Fertigstellung existierte. Dass es nach wie vor so läuft, ist der weiterhin existierenden Betriebsstruktur zu verdanken, die immer noch auf Austausch und Zusammenarbeit am Projekt setzt.
Werden Sie in einer ähnlichen Richtung weiter arbeiten?
Aufgrund unserer positiven Erfahrungen mit der Partizipation stehen wir weiteren gemeinschaftlichen Projekten offen gegenüber. Beteiligung ist und bleibt für uns ein wichtiges Thema. Unter der Einbeziehung der Händler und Bürger arbeiten wir gerade an einer Machbarkeitsstudie für die Neugestaltung des Viktualienmarktes. Auch bei einem Projekt des Beamten-Wohnungs-Vereins in der Parkstadt Schwabing wird Gemeinschaft groß geschrieben. Von außen sieht man das dieser Anlage vielleicht nicht an. Aber innen ermöglichen riesige Treppenhäuser, ein Gemeinschaftsraum und eine Dachterrasse Begegnungen. Auch bei einem geplanten Bau für den Verein für Volkswohnungen in der Renatastraße ist Ähnliches vorgesehen. In Würzburg verwirklichen wir aktuell einen kleinen Bau für eine junge Baugemeinschaft, in der wir einiges der Prozesskultur aus unseren bisherigen Projekten einsetzen können. Aber was wir uns wirklich wünschen, ist natürlich ein weiteres Projekt mit der wagnis eG zu wagen. Denn wir haben bei diesem Projekt so viel gelernt!