Kunstrezeption mal anders: Die Performance "Selbstermächtigung" lässt Solisten Arien vor Caravaggio-Gemälden singen, setzt sie mit LED-Leuchtstäben in Szene und das Publikum steht mitten drin. Ein intensives Erlebnis, das teils auch verstörend wirkte...
Unter den toten Blicken der abgetrennten Häupter von Goliath, Medusa und Holofernes versammelt sich das Publikum in der "Heldenhalle" der Caravaggio-Ausstellung in der Alten Pinakothek. Es ist dunkel und kühl wie in einer Gruft. Die gruseligen Szenen einzelner Gemälde sind angestrahlt, die Atmosphäre schwankt zwischen festlich und angespannt. Man weiß nicht so recht, was da auf einen zukommt. Die ersten sanften Töne von "Svegliatevi nel core" aus Giulio Cesare in Egitto von Georg Friedrich Händel erklingen an einem Ende der Halle. Das Publikum entspannt ein wenig. Doch plötzlich flammt das harte Weiß von LED-Leuchtstäben am anderen Ende des Raumes auf und ein klarer Mezzosopran füllt den Raum in überraschender Lautstärke. Verwirrung durchrieselt die Menge, denn es dauert einen Augenblick bis sich der Ursprung der Klangwelle lokalisieren lässt. Die Sängerin sitzt unscheinbar, in weißem T-Shirt und schwarzen Hosen, auf der Fensterbank.
Vier Sängerinnen und Sänger des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper führen das Publikum durch die Räumlichkeiten der Ausstellung Utrecht, Caravaggio und Europa der Alten Pinakothek. Begleitet von Violine, Fagott und Akkordeon singen, spielen und rezitieren Bass Oleg Davydov, Sopranistin Anna El-Khashem, Mezzosopranistin Niamh O'Sullivan und Tenor Caspar Singh vor den Gemälden Caravaggios und seiner geistigen Nachfolger, die mit ihrem großen Hell-Dunkel-Spektrum in der schummrig beleuchteten Pinakothek besonders eindrücklich zur Geltung kommen. Als schon beinahe schmerzhaften Gegenpol dazu hat Regisseurin Georgine Balk für die Lichtinszenierung der Performance kabellose LED-Leuchtstäbe gewählt, die als Orientierungshilfe, Pfeile oder Lichtschwerter zum Einsatz kommen, am Ende sogar mit Farblicht. "Der starke Kontrast in Lichtfarbe und Intensität ist gewollt. Wir haben auch einen sanfteren Umgang mit Licht ausprobiert, aber das wäre den Gemälden nicht gerecht geworden. Die sind für sich perfekt." erläutert sie auf meine Nachfrage.
So hat die musikalisch Begehung der Ausstellung durchaus etwas von Selbstermächtigung, was ja bedeutet, sich das Recht zu nehmen, etwas zu tun. Die von den Malern dramatisch geschilderten emotionalen Extremzustände und religiösen Inhalte werden mit Ausdrucksmitteln von Musik, Bewegung und atmosphärischen Lichtstimmungen neuartig interpretiert und so auf einmalige Weise erlebbar.
Beim Münchner Publikum kam das hervorragend an - alle sieben Performance-Abende waren ausverkauft.