Beim Münchner Quartier kupa richten Allmann Sattler Wappner Bauwerk und Stadtplanung auf gesellschaftliche Megatrends wie Digitalisierung, Flexibilisierung, Vernetzung, Mobilität und Sharing aus. Architekt Ludwig Wappner erläutert im Interview, was urbane Quartiere lebenswert und nachhaltig macht.
Immer häufiger planen Entwickler und Architekten urbane Immobilienprojekte so, dass durch eine Verschmelzung von Wohn-, Arbeits- und Gemeinschaftsflächen Quartiere entstehen. Sie sollen den Lebensbedürfnissen heutiger Wohnungssuchender gerecht werden – und oft auch architektonische Statements setzen. Ludwig Wappner, einer der drei Gründungspartner der Allmann Sattler Wappner Architekten GmbH und federführender Architekt des aktuell entstehenden Quartiers „kupa – Quartier Kuvertfabrik Pasing" in München, erläutert, warum der Trend aus städtebaulicher Sicht en vogue ist.
Herr Wappner, überall scheinen aktuell gemischte Wohn- und Arbeitsquartiere zu entstehen. Woher kommt dieser Trend und was macht ihn aus?
Politische Entscheidungsträger, Stadtplaner und die Stadtgesellschaften erinnern sich heute wieder daran, was in den 1920er und 1930er Jahren bereits bekannt war: Eine vitale und lebenswerte Metropole wird durch das fruchtbare Zusammenwirken von Wohnen und Arbeiten geschaffen. Um dafür im 21. Jahrhundert stadtplanerische Grundlagen zu erarbeiten, bedarf es jedoch nicht nur politischer Weitsicht und planungsrechtlich belastbarer Steuerungsinstrumente wie beispielsweise das vor wenigen Jahren neugeschaffene „Urbane Quartier". Es bedarf auch der Bereitschaft der Bürger, solche Mischquartiere zu akzeptieren und zu beleben. Begünstigt durch die völlig veränderten Voraussetzungen der neuen Arbeitswelten, ermöglichen sie, dass die Jahrzehnte lang propagierte strikte Trennung von Wohn- und Arbeitsquartieren aufgeweicht wird. So ist es überhaupt erst möglich, neue kreative Mischquartiere zu entwickeln, die das Potenzial bieten, Stadt neu zu denken, lebenswert zu machen und nicht zuletzt auch ein Zeichen gegen die stark wachsenden Pendlerströme zu setzen.
Früher nannte man sie Siedlungen, heute Quartiere: Worin liegt der Unterschied?
Ursprünglich ist unter dem Begriff Siedlung die dauerhafte Ansiedlung von Menschen zu verstehen, die dort wohnen oder arbeiten. Siedlungen der jüngeren Baugeschichte bezeichnen im städtebaulichen Kontext eher neue Stadtteile und Trabantenstädte, die in unterschiedlichsten Typologien und Strukturen angelegt waren. In den Nachkriegsjahren wurden in Deutschland aufgrund der gewachsenen Stadtstrukturen und der enormen Nachfrage nach Wohnraum völlig neue Siedlungsstrukturen realisiert. Sie waren meist nur dem Wohnen gewidmet, da Wohnen und Arbeiten in den Industrieregionen strikt voneinander getrennt wurden.
In der Gegenwart haben Globalisierung und Digitalisierung das Arbeiten, Wohnen und Leben stark verändert. Das führt auch bei den Stadtplanern und Architekten zu einem Umdenken. Statt Wohnen und Arbeiten voneinander zu trennen, setzen sie zunehmend auf vitale Stadtquartiere, die an die Tradition guter Quartiere der Stadtbaugeschichte aus der Gründerzeit und den 20er und 30er Jahren anknüpfen und gleichzeitig neue Herausforderungen annehmen sowie Impulse integrieren und auch setzen.
Damit diese Quartiere funktionieren, ist eine gelebte Offenheit der Bewohner gefragt. Die neuen Mischquartiere – gerne auch Kreativquartiere genannt – überlagern Wohnen, Arbeiten und Infrastruktur wie selbstverständlich. Ob sich dort besondere Milieus etablieren, liegt jedoch immer am städtebaulichen, freiraumplanerischen und bauplastischen Potenzial – und schließlich an den Bewohnern selbst.
In vielen Quartieren geht es den Entwicklern darum, Wohnen und Arbeiten zu verbinden – und so auf die Bedürfnisse der Menschen nach Flexibilität in ihrem Leben sowie bezahlbaren, aber lebenswerten Wohnraum einzugehen. Welche Herausforderungen bedeutet dies für die Architektur?
Die Architektur muss von den sichtbaren Qualitäten bestehender Stadtquartiere lernen. Der Schlüssel zu einem lebenswerten urbanen Viertel liegt – neben zukunftsweisenden Wohn- und Gewerbetypologien – in seiner baulichen Struktur. Gut gestaltete Räume haben das Potenzial, auf die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Gesellschaft einzugehen. Sie geben Antworten auf die Flexibilisierung und die steigende Mobilität. Die Architektur muss leicht änderbare Wohnraumstrukturen anbieten, die sich der stetig wandelnden Gesellschaft und den demografischen Veränderungen anpasst.
Der Projektentwickler Bauwerk setzt mit seinem aktuell im Münchner Stadtteil Pasing entstehenden Projekt kupa auf gesellschaftliche Megatrends wie Digitalisierung, Flexibilisierung, Vernetzung, Mobilität und Sharing. Allmann Sattler Wappner Architekten zeichnen für die Generalplanung verantwortlich. Wie übersetzen Sie das Konzept in die Architektur?
Unter anderem orientieren wir uns an den in der Gründerzeit sehr klug entwickelten Grundrisstypologien sowie den handwerklich hervorragend verarbeiteten Fassaden und Interieurs. Denn sie zeigen, wie angenehm und flexibel Wohnen und Arbeiten gelebt werden können. In kupa realisieren wir unterschiedlichste Grundrisstypologien, großzügige Freisitze, Gemeinschaftsterrassen auf den Dachflächen und viele andere gemeinschaftlich nutzbare Features. Dazu gehören ein umfangreiches Mobilitätskonzept, eine Fahrradwerkstatt für alle sowie Angebote für Kinderbetreuung und zum Einkaufen.
Obendrein schaffen wir mit der Sanierung der 1906 errichteten, denkmalgeschützten Kuvertfabrik auf vier Ebenen variantenreiche Arbeitsräume. Im alten Kesselhaus des Fabrikgebäudes ist zudem Gastronomie vorgesehen. Durch das identitätsstiftende Gebäude der alten Kuvertfabrik mit seiner zentralen Lage im Quartier und der Anbindung an die benachbarten städtebaulichen Strukturen ist in enger Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten ein Quartier entstanden, das den Charakter eines gewachsenen Stadtteils aufweist.
Wie verändert sich Architektur im Digitalzeitalter?
Diese Frage beschäftigt derzeit alle Architekten intensiv und wird in der Fachliteratur oder in umfangreichen Symposien diskutiert – ohne belastbare und verbindliche Antworten auf diese gewaltige Herausforderung für das Bauen und die Gesellschaft zu finden. Wir arbeiten daher eng mit Auftraggebern, Planern, Trendforschern oder auch Soziologen zusammen und verschaffen uns über Umfragen Meinungsbilder künftiger Bewohner. Mit den Ergebnissen dieser umfassenden Prozesse versuchen wir, bestmögliche städtebauliche und architektonische Antworten auf die gesellschaftliche Dynamisierung anzubieten. Dazu gehören neben flexiblen Wohngrundrissen auch Sharing-Angebote. Deren Qualität muss allerdings so gut gestaltet und robust nutzbar sein, dass sie alle noch zu erwartenden dynamischen Veränderungen einer digitalen Gesellschaft meistern kann.
Der Claim zum Projekt kupa lautet: „Hier wohnt die Zukunft". Wie spiegelt sich dieser im Konzept und in der Architektur wider?
Eine lebenswerte Immobilie mit zeitlos guter Architektur und attraktiven Raumqualitäten muss auf künftige Veränderungen und Trends im Wohnen und Arbeiten Antworten geben. In kupa bilden wir diese Antworten architektonisch mit offenen und funktional durchdachten Grundrisstypologien, raumhohen Öffnungen, innovativen Fassaden und verschiedenen Gemeinschaftsflächen. Ergänzend hinzu kommen kreative Details wie beispielsweise die vom Jugendstil beeinflussten Metallgeländer oder die noch vorhandenen Art déco Keramikfliesen in der Kuvertfabrik.
Neben digitalen Angeboten wie einer Quartiers-App oder Smart Home-Vorrüstungen setzt kupa auf ein ausgefeiltes Mobilitätskonzept mit Autos, E-Bikes, Lastenfahrrädern und E-Scootern zum Ausleihen. Zudem können die Bewohner eine großzügige Gemeinschaftsküche ebenso buchen wie Zeiten in der kupa-Fahrradwerkstatt.
Ist für Sie abzusehen, inwiefern sich der Trend hin zu solchen urbanen Stadtquartieren in den kommenden Jahren fortsetzen oder sogar verstärken wird?
Dort, wo attraktive Arbeitsplätze entstehen, ist der Zuwachs weiterhin enorm. Das betrifft nicht nur attraktive Metropolen wie Frankfurt, Berlin oder München. Auch kleinere Städte werden zunehmend interessant für Unternehmen und damit für Wohnungssuchende. Dieser Zuwachs zwingt Stadtpolitik und Stadtplaner dazu, auf die hohe Nachfrage nach Wohn- und Arbeitsquartieren bestmögliche und möglichst langfristige Antworten zu geben. Hierzu bedarf es einer gewissen Risikobereitschaft, Stadt neu zu denken, aus Erkenntnissen zu lernen und gemachte Erfahrungen bei jedem neuen Projekt fortzuschreiben.