Vor einigen Wochen kam einer unserer Mitarbeiter von einer Fortbildung zurück. Aus seinem folgenden Bericht über die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Seminar lässt mich ein dort vorgestellter Vergleich bis heute nicht mehr los:
Eine einzelne Stahlbetonwand mit den Abmessungen 3,0 x 3,0 x 0,25m stößt im Prozess ihrer Erstellung genauso viel CO2 aus wie 50.000 km mit dem Kleinwagen zu fahren.
Ausgerechnet Beton! Ausgerechnet der Baustoff der Moderne, ausgerechnet der Stoff aus dem kühne Architektenträume sind. Ausgerechnet dieser unser liebster Baustoff soll nun ein absoluter Klimasünder sein? Und warum nur haben wir bisher kein Wort davon vernommen? Warum nur gibt es keine Diskussionen über den Stahlbeton, so wie wir sie über Fleischkonsum, Flugreisen, Autoverkehr, Energieerzeugung oder ähnliches bereits führen und führen müssen?
Zugegeben. Diskussionen über den Stahlbeton insbesondere in seiner Ausführung als „Sichtbeton" gibt es ja schon länger. Kleingeistige Kund*innen konnten ja nie verstehen, welche fantastische Wärme, lebendige Haptik, frühlingsfrische Olfaktorik und fröhliche Farbigkeit dieser Baustoff zu bieten hat. Doch ihre ungebildete Verachtung dieses wunderbaren Baustoffs konnte natürlich uns Baumeister*innen der Moderne nicht zu beeindrucken wissen. Denn man baut ja nicht für die Nutzer*innen sondern für die reine Lehre der maximalen Gestaltungsreduktion und die Unsterblichkeit des Erbauers! Da ist der kühl glatte, nahezu geruchlose, in edles grau getauchte Stahlbeton in seiner Unzerstörbarkeit als erste Wahl natürlich in Stein gemeißelt.
Und nun das. Der Stahlbeton als Energieverschwender. Dabei hat doch die Lobby alles dafür getan, dass nur ja nicht die fast schon lustigerweise als „graue" Energie bezeichnete, im Baustoff steckende Herstellungsenergie in irgendeine Energiebilanz Einzug hält. Nein, nein, nach wie vor zählt einzig und allein, was am Ende an Energie während der Nutzung verbraucht wird. Ganz egal ob die mit hohem Aufwand und einer dicken Kunststoffhaut erzwungene Einsparung überhaupt den immensen Herstellungsaufwand wieder einholen kann. Wen interessiert das schon? Hauptsache eine Sichtbetonwand im verwaisten, überdimensionierten Foyer! Oh du schöne Architektenwelt.
Ein bisschen absurd komisch ist es also. Wenn es nur nicht so traurig wäre. Denn unser Einfluss als Architekt*innen auf die Zukunft unserer Kinder im Zeichen der Klimaerhitzung ist immens und wird leider nicht annähernd in dem Umfang diskutiert wie es nötig wäre. Bauen ist ein langwieriger Prozess. Deshalb legen wir bereits heute mit unseren Planungen den Energieaufwand der kommenden Jahre und Jahrzehnte fest. Die notwendige Netto-Null beim CO2-Ausstoß, die wir bis 2028 erreichen müssten, um die Schäden mit viel Glück noch im Rahmen zu halten, werden wir mit unserer heutigen Bauweise sicher nicht erreichen.
Und doch radele ich weiter durch die Stadt und bewundere von Baustelle zu Baustelle trotz einer Vielzahl von Alternativen doch nur Stahlbetonskelett nach Stahlbetonskelett nach Stahlbetonskelett. Eins ums andere hübsch garniert mit einer Prise Alu, einem ordentlichen Schuss Glas und einem leckeren Styropor-Sahnehäubchen.
Deshalb meine Frage an uns Architekt*innen, aber auch Bauherr*innen und Politiker*innen:
Ist es nicht höchste Zeit das Bauen wieder einmal ganz neu zu denken?