Während der Sanierung des Gasteig gibt es ab Herbst für mindestens fünf Jahre ein Ausweichquartier in Sendling: Der Gasteig HP8 ist ein multifunktionales Experimentierfeld für Europas größtes Kulturzentrum. Am 8. Oktober ist die Eröffnung.
1985 wurde der Münchner Gasteig eröffnet. Seither hat sich „Europas größtes Kulturzentrum" mit rund 6.000 Gästen pro Tag erfolgreich etabliert. Nach über 30 Jahren Laufzeit haben allerdings große Teile der technischen Anlagen – insgesamt 250 an der Zahl – ihre durchschnittliche Lebensdauer erreicht und müssen für einen sicheren Betrieb erneuert werden. Parallel wird die Sanierung genutzt, um den Gasteig „fit für die Zukunft" zu machen: Dabei will das Architekturbüro HENN aus München unter anderem mit fließenden Übergängen und „Performance Treppen" für mehr „Offenheit und Kommunikation" als Verbindung zum Außenraum sorgen.
Wilde Mischung als Nachbar
Bei der Suche nach einem Ausweichquartier für mindestens fünf Jahre wurden mehr als 30 mögliche Standorte unter die Lupe genommen. Den Zuschlag bekam ein Gelände der Stadtwerke München in Sendling: Seit März 2020 wird an der Hans-Preißinger-Straße 8 parallel zur Isar unter Hochdruck gebaut, am 8. Oktober 2021 soll die Eröffnungsfeier stattfinden. „Das war sportlich, aber es funktioniert", so Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner. Und Stephan Schütz vom ausführenden Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner ergänzt: „Die Termin- und Kostenvorgaben waren die größte Herausforderung. Sie erforderten tragfähige konzeptionelle und konstruktive Ansätze sowie eine präzise Planung der Bauabläufe." Insgesamt dockt HP8 – so der Name des Ensembles – an eine bestehende Nachbarschaft an: Vor dem Bau neuer Wohnungen, der geplant, aber noch nicht terminiert ist, waren auf dem Areal schon zuvor Zwischenmieter wie Künstler, Kreative, Handwerker und Reifenhändler untergekommen. Das Gros dieser „wilden Mischung" kann bleiben.
Multifunktionaler Raum mit Industriecharakter
Ausnahme ist die historische Halle E, in der ab 1929 Trafos der Stadtwerke gelagert wurden. Sie wird zum Entree und Foyer der Isarphilharmonie umfunktioniert. Außerdem ziehen die Stadtbibliothek samt Eventfläche namens Generator, ein Kino- und Veranstaltungssaal, eine Bar und ein Lesecafé, die Anmeldung der Münchner Volkshochschule, das Abo-Büro der Münchner Philharmoniker und die Kulturvermittlung ein. Aus Gründen des Denkmalschutzes musste dabei minimalinvasiv vorgegangen werden: Sichtziegel, die Betontreppe und -rampe, alte Fenster und die blaue Metallverblendung der umlaufenden Galerien blieben originalgetreu erhalten, Glasdach und Lichtdecke wurden aufwändig saniert, eine Sprinkleranlage genauso ergänzt wie Einbauten für Bars, Büros und Info-Theken. Resultat ist ein multifunktionaler Raum mit bewusst rauem Industriecharakter. „Sein Sanierungskonzept sah vor, dass nahezu alle Eingriffe und Veränderungen nach der Interimsnutzung reversibel sind. Dafür war eine enge Abstimmung mit dem Denkmalsamt erforderlich", so Stephan Schütz. „Uns ging es darum, trotz der Vielzahl der Einzelgebäude mit der sanierten Trafohalle eine Mitte zu schaffen, die als Bezugs- und Treffpunkt aller Besucher- und Nutzergruppen dient. Mit ihrer Sanierung erhält München einen öffentlichen Ort mit unverwechselbar Identität."
Bestand und Hinzufügung
Angrenzend an ihn wurde die Isarphilharmonie weitestgehend in Holzmodulbauweise mit 30 cm dicken Brettsperrholzelementen errichtet. Diese sind größtenteils demontabel und bis auf einige aus brandschutztechnischen Gründen erforderlichen Betonwände und Decken wiederverwendbar. Von außen ein schnörkellos-schlichter, dunkelgrauer Zweckbau, punktet sie innen mit einem Konzertsaal aus schwarz lasiertem Nadelholz, dessen Akustik die japanische Klang-Koryphäe Yasuhisa Toyota geplant hat. Im ansteigenden Mittelteil und auf den seitlichen Rängen, die filigrane Drahtgitter begrenzen, ist keiner der insgesamt 1.900 Plätze weiter als 30 Meter von der Bühne entfernt, was für eine intime, konzentrierte Atmosphäre sorgt.
„Angesichts der Tatsache, dass die Isarphilharmonie für einige Jahre der einzige größere Konzertsaal für die musikliebende Stadt München sein wird, haben alle Beteiligten der Akustik von Anfang an einen sehr hohen Stellenwert beigemessen. Die Zusammenarbeit mit Toyota war inspirierend und professionell. Wir haben mit ihm und seinen Mitarbeitern einen Konzertsaal konzipiert, der im Hinblick auf seine Materialanmutung und seine atmosphärische Qualität weltweit einzigartig sein dürfte", so Stephan Schütz, der sich nach Rückkehr des Gasteig in sein altes Quartier für Isarphilharmonie und Halle E eine längerfristige öffentliche Nutzung wünschen würde.
Erschließung mit zwei Himmelsleitern
Die Lücke zwischen Halle E und Isarphilharmonie wurde mit der sogenannten Fuge geschlossen: einem schmalen Treppenhaus, das von oben Tageslicht durch Glasflächen bekommt, auf mehreren Ebenen durch Türen sowie zwei „Himmelsleitern" erschlossen wird, auf denen Gäste über Stufen in den Konzertsaal gelangen. „Hier wird die Außenwand der historischen Halle aus Backstein und Stampfbeton zur Innenwand, entlang derer die Besucher die Balkone der Philharmonie erschließen", erläutert Stephan Schütz. „Das Nebeneinander von alt und neu, von Bestand und Hinzufügung stellt für mich den besonderen Reiz von HP8 dar." Die Module seien einfach und robust konzipiert, könnten jedwede Form von Arbeits- oder Bildungsstätte aufnehmen, aber auch abgebaut und an anderer Stelle wiedererrichtet werden.
Gespart, wo es ging
Ebenfalls ab Oktober kann der eingeschossige Saal X für 250 Zuschauer im Hof bespielt werden, der die Black Box ersetzt. Noch in Arbeit sind Haus K und Haus G, wo im Frühjahr die Münchner Volkshochschule, die Hochschule für Musik und Theater, ein Restaurant sowie ein weiterer kleiner Konzertsaal einziehen sollen. Auch diese drei Gebäude werden in kostengünstiger, unkomplizierter Modulbauweise errichtet. So kann der Gasteig HP8 insgesamt mit einem Kostenvolumen von 70 Millionen Euro auskommen, 40 Millionen entfallen auf die Isarphilharmonie. „Dem Publikum soll es an nichts fehlen – weder am gewohnten Angebot des Gasteig, noch zum Beispiel an der Akustik im Konzertsaal", sagt Max Wagner. „Aber wir haben gespart, wo es ging, vor allem durch die Modulbauweise. In einem Interim muss man näher zusammenrücken. Wir haben hier nur etwa ein Viertel der Flächen. Aber durch die neue Nähe soll auch Energie entstehen, die wir in neue Experimente stecken wollen."
Interimsbauten als Herausforderung
„Interimsbauten stellen eine besondere Herausforderung an Architekten und Fachplaner dar", bilanziert Stephan Schütz. „Systematisches Denken ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung. In diesem Zusammenhang geht es um Fragen der Montage und Demontage, um effiziente sowie zeitsparende Konstruktionsmethoden, aber auch um den Rückgriff auf erprobte Bauweisen des Industriebaus."
Die Aufgabe habe zunächst darin bestanden, diverse Machbarkeitsstudien zusammenzutragen, die vor der Beauftragung zur Philharmonie sowie zu den anderen Funktionsmodule erarbeitet wurden, um diese in Ihrer Gesamtheit auf ihre Realisierung zu überprüfen. Hieraus sei der konkrete Masterplan entstanden, der samt aller erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt wurde. In einem zweiten Schritt habe das Büro die Vorplanung der Module, die Entwurfs- und Leitdetailplanung der Isarphilharmonie sowie sämtliche Leistungsstufen zur denkmalgerechten Sanierung der Trafohalle verantwortet. HP8 sei die Fortsetzung der Kulturzentrumsidee des Gasteig auf einem Gelände mit industriellen Wurzeln.
Umstellung für Besucher
Um das Publikum mit HP8 vertraut zu machen, wird es über ein halbes Jahr hinweg ein Eröffnungsprogramm geben, das jeweils einen Monat lang die einzelnen Institutionen bestreiten. Umstellen müssen sich Besucherauch bei der Verkehrsanbindung. Auf dem Gelände selbst gibt es nur Parkplätze für Behinderte. Der Rest liegtweiter entfernt auf dem Großmarkt-Gelände und wird mit Shuttle-Bussen bedient. Gäste sollten deshalbmöglichst zu Fuß, mit dem Rad, der U-Bahn (Haltestelle Brudermühlstrasse) oder dem Bus kommen, der vor der Tür hält.