Das Münchner Großstadtflair mag für Fremde hier und da grau und mächtig wirken. In der Tat sind viele Gebäude wirklich in Grautönen gehalten. München deswegen als „graue Großstadt“ zu bezeichnen, wäre quasi eine Themaverfehlung und würde der Stadt mitnichten gerecht werden. Wo die Stadt richtig bunt ist und wie die Farben wirken, verrät dieser Beitrag.
Die Theorie der bunten Welt: Farbsysteme in der Architektur
In der Architektur, in der Stadtplanung, im Handwerk, bei Bau und Design und sogar bei der Denkmalpflege gibt es zwei Wege, um Farbe architektonisch ins Spiel zu bringen. Die Rede ist dabei von sogenannten Farbsystemen, dem Natural-Colour-System oder dem RAL-Design-System. Die Pantone-Farbordnung, aus der jährlich die Farbe des Jahres gekürt wird, wie etwa die Farbe Blau im Jahr 2020, ist eher für Deko, Einrichtung und Interieur gedacht.
Geordnet sind die Farbsysteme in der Architektur nach Farbsättigung, Helligkeit und Farbton. Für diese beiden Systeme gibt es entsprechende Farblesegeräte, die eine Farbe decodierbar machen. In der Praxis haben sich jedoch andere Handwerkszeuge etabliert, die sogenannten Farbfächer. Bei einem Anbieter von Farbfächern und Farbkarten gibt es Farben von A bis Z quasi „gebündelt“ – und zwar in einem Farbfächer, der die Auswahl der passenden Farbe für das passende Architekturobjekt buchstäblich mit einem Fächerschlag ermöglicht.
- Das NCS (Natural-Colour-System) basiert auf einem Doppelkegel mit farbtongleichen Dreiecken, Bunttönen sowie Schwarz und Weiß an der Seite. Die einzelnen Töne unterscheiden sich in Helligkeit und Farbsättigung und lassen sich exakt verorten. Das System weist 1.950 Farbtöne aus, die auf Musterkarten, Farbfächern oder in Farbatlanten dokumentiert sind und eine ein-eindeutige Nummernfolge tragen. Eine NCS-Bezeichnung setzt sich zusammen aus dem Schwarzanteil der Farbe und der Farbsättigung, dann erfolgt ein Strich, dem der Farbwert folgt.
- Im RAL-Farbsystem sind 1.625 Farbtöne angeordnet, die aus dem CIELab-Farbraum stammen, der im Jahr 1976 von der Beleuchtungskommission definiert und festgelegt wurde. Heute gilt er als Industriestandard und ist ebenfalls von Farbmessgeräten lesbar. Die ein-eindeutige Nummernkennung der RAL-Farbsysteme lässt sich beispielsweise in HSB, CMYK und RGB konvertieren. Die eindeutige RAL-Farbkennung besteht aus drei einzelnen Zahlen. Die erste Zahl bezeichnet den Grundfarbton im Farbkreis, die zweite Zahl erklärt die Helligkeit zwischen Schwarz und Weiß und die dritte Zahl zeigt die Sättigung an.
Die eindeutige Zahlenkennung einer jeden Zahl im NCS- und RAL-System krankt allerdings gerade in der Architektur an den Details, die für die Wirkung einer Farbe verantwortlich sind. Wie leuchtend, intensiv, transparent, rein, glänzend, stumpf oder strukturiert eine Farbe an der Wand wirkt, hängt nämlich in weiten Teilen auch davon ab, wie die Oberfläche beschaffen ist, wie alt das Gebäude ist, welche Größenverhältnisse es aufweist und wie sich Reflektion und Absorption auswirken können.
Abbildung 2: Neben den Tennisplätzen schließt sich die Bungalow-Siedlung an, die 1972 entstanden ist, 2007 abgerissen und anschließend wieder errichtet wurde.
Die Farbwelt der Münchner Architektur
Das Münchner Olympiadorf ist bei vielen der Vorreiter der Tiny-House-Bewegung und die älteste Siedlung dieser Art, in der es viel Buntes zu sehen gibt. Seit 1972 (bzw. mit Unterbrechung durch Neubau) stehen im „Olydorf“ 1.052 Minihäuser, die nicht etwa neumodisch als „Tiny-House“ bezeichnet werden, sondern von so manchem studentischen Bewohner eher als „Bungi“ bezeichnet werden. Es sind also kleine Bungalows von knapp 20 Quadratmetern Größe und mit jeder Menge Farbe an den Außenwänden. Wer sie sich ansehen möchte, findet die „Bungis“ zwischen den Olympiadorf-Hochhäusern und den Sportplätzen.
Als Bungalow-Siedlung war das „Studentenviertel Oberwiesenfeld“ ursprünglich gar nicht gedacht. Wirsing, der Architekt, der einst mit den Planungen betraut war, liebäugelte ursprünglich mit Gebäuden, die zwei oder drei Geschosse haben sollten. Erst dann wurde daraus die Idee einer Bungalowsiedlung in der Connollystraße. Im Jahr 2007 wurden die Häuser von anno dazumal abgerissen. Baumängel sorgten für diesen Schritt, der jedoch mit dem Wiederaufbau des Olydorfs an Schrecken verlor. Heute gibt es in den Mini-Bungalows Wohnräume mit 18,8 Quadratmetern Fläche unter begrünten Flachdächern. Bunt ist das Leben dort nicht nur, weil bunte Kunstwerke an den Hauswänden zu finden sind, weil sich Farbmuster an der Außenwand entlangschlängeln, weil Fische an die Wand gemalt sind und Homer Simpson von der Wand grinst. Bunt ist das Leben auch, weil etwa die Hälfte der Bewohner und Bewohnerinnen aus dem Ausland stammt.
Und auch wenn das Olympiadorf von anno dazumal der bunteste Vertreter der Architektur in München ist, ist es mitnichten der einzige. Inspiration dazu, wie Farbe wirken kann, liefert München wahrlich an allen Ecken und Enden. In der Innenstadt gibt es viele Fassaden, die polarisieren. Während die Fans der Farbe es schwätzen, wenn zwischen den Glasfronten farbige Häuseranstriche zu sehen sind oder gar ganze Fassaden bunt gestrichen sind, gibt es auch jene, die die Farbenpracht in der Stadt eher kritisch sehen – oder gar gänzlich ablehnen. Im Gewerbepark in der Kistlerhofstraße geht es nicht nur bunt zu, sondern auch mehrfarbig und mit üppigen Mustern an den Hausmauern, doch nicht jedem gefällt die bunte Seite von München. Auch die Fassade des Malereibetriebs Franz Rebl in Allach stiehlt den grauen Nachbarhäusern quietschbunt bemalt die Show. Ein weiteres Werk von Franz Rebl und dem Künstler Carsten Kruse befindet sich an der Wasserburger Landstraße in Trudering und ist nicht zu übersehen.