Interview mit Martina Maier, Architektin bei Snøhetta
Das Interview fand im Rahmen der Panel Diskussion New Modes IV / New Relations with Nature auf Einladung der BMW Group Design in der Neuen Sammlung – The Design Museum – im Rahmen der mcbw 2024 statt.
Martina Maier ist als Architektin Teil des transdisziplinären internationalen Büros Snøhetta und in ihrer Rolle als Sustainability Specialist im Studio Innsbruck mit der Implementierung nachhaltiger Strategien in Architektur und Design betraut. Seit seiner Gründung beweist Snøhetta, dass diese Disziplinen einen wesentlichen Beitrag in den Bereichen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit leisten können. Die Vielfalt der aktuellen Herausforderungen spiegelt sich im facettenreichen Oeuvre des Büros wider. Mit nachhaltiger Gestaltung auf unterschiedlichen Maßstabsebenen, vom Objekt-Design über Architektur bis zum Städtebau, zeigt Snøhetta, welchen Beitrag Architektur und Design für eine nachhaltige Zukunft leisten können.
Ebenfalls auf dem Podium:
Anna Goldhofer ist studierte Wirtschaftsingenieurin, Materialwissenschaftlerin & Expertin für Circular Economy. Sie arbeitet seit 6 Jahren am Thema Kreislaufwirtschaft der BMW Group aus verschiedenen Entwicklungs- und Einkaufsperspektiven. Ihre berufliche Laufbahn kombiniert sie mit ihrem Wunsch einen Beitrag zur Lösung der multiplen sozio-ökologischen Krisen zu leisten. Als inspirierende Motivatorin und Sprecherin gibt Anna Goldhofer ihre Begeisterung und ihr Wissen für nachhaltige Transformation der Wirtschaft an andere weiter. Die Gründung der CRITICAL FRIENDS gGmbH vor 2 Jahren war ihr ein weiteres wichtiges Anliegen. CRITICAL FRIENDS gGmbH bildet junge Changemaker aus und macht Unternehmen durch Impulse junger Talente zukunftsfähig.
Johanna Seelemann leitet ein Designstudio, das materielle Kulturen erforscht, die sich auf alltägliche Objekte und ihre Kontexte, Produktionssysteme und ökologische Zyklen beziehen, um wünschenswerte Zukunftsszenarien zu schaffen. Das Büro verfolgt einen multidisziplinären Ansatz, der zu einem breiten Spektrum an Typologien führt. Seit 2020 unterrichtet sie an der an Iceland University of the Arts in Reykjavík. Zuvor unterstützte sie das Studio Formafantasma bei den Projekten Ore Streams und Cambio. Für ihre Arbeit wurde Johanna Seelemann kürzlich von Dezeen Awards als Emerging Designer of the Year 2023 nominiert.
Regine Geibel:
Martina, wie fandest Du die Kombination an Disziplinen bei dem heutigen Talk?
Martina Maier:
Ich finde es grundsätzlich sehr interessant transdisziplinär zu arbeiten und so sollte man auch den Diskurs über komplexe Themen, wie das der Nachhaltigkeit oder „wie Natur das Design beeinflussen kann" idealerweise transdisziplinär führen. Wir behandeln sehr viele ähnliche Themen, beispielsweise die Materialität im Allgemeinen, die Kreislaufwirtschaft, oder auch das Thema „Bäume".
Als transdisziplinäres Büro arbeiten wir auch in sehr unterschiedlichen Maßstäben; vom Objektdesign über die Architektur und Landschaftsarchitektur bis hin zum Städtebau.
Was ist der kleinste Maßstab, in dem ihr arbeitet?
Designobjekte wie beispielsweise Fliesen und Lampen, wir entwickeln außerdem auch Brand Design Konzepte.
Du bist Hochbauarchitektin und hast vorhin gesagt, dass der Städtebau mehr Möglichkeiten bietet den Bereich sustainability zu respektieren und zu fördern, als die Architektur. Wie meinst Du das?
Anhand des Städtebaus lassen sich noch mehr Aspekte der Nachhaltigkeit gut aufzeigen. Manche Problemstellungen können außerdem nur in diesem Maßstab sinnvoll gelöst werden. Die Möglichkeiten am einzelnen Bauplatz sind begrenzt. Das gilt beispielsweise für das Thema Mobilität, als auch das Thema Resilienz unserer Städte in Zeiten des Klimawandels: das Stadtklima und das Regenwassermanagement im Sinne einer Blau-Grünen Infrastruktur. Im Städtebau werden gewissermaßen die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Architektur gesetzt.
Also würdest du sagen, wenn man sich bei der Planung eines neuen Quartiers entscheiden müsste, ob man bezüglich der Nachhaltigkeit den Fokus auf die Architektur oder auf den Städtebau legt, dass er sinnvoller beim Städtebau angesiedelt ist? Weil man hier mehr erreichen kann?
Bei der Planung eines neuen Quartiers muss der Fokus natürlich auf alle Maßstabsebenen gelegt werden. Wobei man sich zuerst mit der städtebaulichen Ebene beschäftigen muss. Wie gesagt, hier gilt es nachhaltige Ansätze der Mobilität zu finden oder eine Grün-blaue Infrastruktur zu entwickeln. Spricht man über Emissionen im Bauwesen wird man sich vor allem auf den Hochbau fokussieren, auf Themen wie die graue Energie oder den emissionsarmen Betrieb eines Gebäudes. Je nach Maßstab ändern sich Schwerpunkte. und Möglichkeiten.
Auf städtebaulicher Ebene haben wir zum Beispiel an einem sehr spannenden Projekt gearbeitet und für die Stadt Pforzheim an der Erstellung einer Klimawandelanpassungsstrategie mitgewirkt. Da ging es um Fragen wie: Wie müssen wir eine Stadt anpassen, damit sie resilienter gegen die Auswirkungen des Klimawandels wird? Wie können zusätzliche Grünflächen geschaffen werden, die für die Entstehung kalter Luft sorgen - eine Funktion die etwa der Englische Garten in München übernimmt. Welche Bereiche müssen grundsätzlich von einer Bebauung freigehalten werden, um Kaltlufschneisen zu ermöglichen.
Ich finde, die Frage kann nicht sein, ob man sich zwischen Architektur und Städtebau entscheidet. Die Frage ist, welche Themen spreche ich in welchem Maßstab an!
Seit mehreren Jahren listen wir alle Ansatzpunkte der Nachhaltigkeit, die im Design, der Architektur und dem Städtebau relevant sind, auf, um diese für uns greifbar zu machen. Wir haben sie in einer Matrix zusammengefasst. Angefangen bei der Betrachtung des Bauplatzes bis zur Berücksichtigung der Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit, die für Snøhetta ja schon von Beginn an einen besonderenStellenwert hatte.
Was versteht ihr unter sozialer Architektur?
Das lässt sich am besten am Beispiel der Osloer Oper erklären: Zum Zeitpunkt der Ausschreibung für dieses öffentlich finanzierte Gebäude gab es eine Umfrage, die ergab, dass nur circa 2 % der Bevölkerung eine Oper nutzen würden. Für uns war von Anfang an klar, dass unser Entwurf einen Mehrwert für die Gesamtbevölkerung schaffen sollte. So ist dann das Dach entstanden, das wie ein öffentlicher Platz funktioniert und heute ein sehr beliebter, intensiv genutzter öffentlicher Raum ist.
Mit Dir auf dem Podium saß Anna Goldhofer, die bei BMW das Thema Kreislaufwirtschaft betreut. Wir Architekten schielen ja immer auf die Automobilbranche, weil viele Menschen oft eher bereit sind Geld in ein teures Auto, als in eine verantwortungsvoll geplante Wohnung zu investieren. Hat Anna Goldhofer deiner Meinung nach mehr Möglichkeiten etwas zu bewegen? Siehst du beim Design in der Automobilbranche größere Chancen, sich bzgl. der Nachhaltigkeit schneller weiterzuentwickeln, als in Architektur und Städtebau? Oder würdest du sagen, für die Automobilbranche ist es sogar eher schwieriger?
Das ist eine interessante Frage, die nicht sehr einfach zu beantworten ist. Ich denke der Druck auf die Automobilbranche ist sehr viel höher, weil der allgemeine Fokus sehr stark auf die Emissionen, welche durch die Mobilität verursacht werden, gelegt wird. Das allgemeine Bewusstsein, für das immense Ausmaß an Emissionen, welche das Bauwesen verursacht, wächst erst langsam.
In den vergangenen Jahren lag das Hauptaugenmerk in dieser Branche fast ausschließlich auf dem energieeffizienten Betrieb von Gebäuden. Das Thema graue Energie, die Energie und damit verbundenen Emissionen die in den verwendeten Baustoffen stecken, ist erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit überhaupt Thema. Und das obwohl die Herstellung und der Betrieb von Gebäuden für rund 40% der weltweiten Emissionen verantwortlich sind!
Du meinst damit das Umdenken in Bezug auf Umbau, Stadt, Abriss und Neubau, wie es jetzt anhand der vielen leerstehenden Kaufhäuser in den Innenstädten schon umgesetzt wird?
Ja, genau, insgesamt wächst das Bewusstsein, dass die Wahl des Bau-Materials sich auf den CO2-Fußabdruck, den das Gebäude haben wird, sehr stark auswirkt. Dass es also nicht nur um die Emissionen geht, die entstehen, wenn das Gebäude fertig ist und betrieben wird, sondern dass man vermehrt darauf schaut, welche Emissionen bei der Erstellung des Gebäudes entstehen.
Was macht ihr bei Snøhetta in Bezug auf die Materialthematik? Arbeitet ihr schon mit Betonalternativen wie Leichtbeton oder Textilbeton?
Unsere Studios befinden sich an den verschiedensten Standorten und agieren deshalb in sehr unterschiedlichen Kontexten. Ich kann vom Studio Innsbruck berichten, wo wir in den vergangenen Jahren sehr viel in Holzbauweise geplant haben. Ein Grund dafür ist das Nachwachsen des Rohstoffes, vor allem aber auch, dass der Holzbau im Moment der Herstellung des Gebäudes sehr viel geringere Emissionen verursacht, als das Bauen mit Beton es tut. Wir glauben nicht, dass jedes Gebäude aus Holz gebaut werden muss, es muss immer eine projektspezifische Betrachtung erfolgen, aktuell ist der Baustofff hinsichtlich der Emissionen jedoch ungeschlagen. Hier gibt es viel Handlungsbedarf für die Industrie und auch die Gesetzgebung beispielsweise bezüglich der Normen! Bis dahin liegt unser Fokus auf dem Material Holz.
Weiters erstellen wir immer häufiger Life Cycle Assessments für unsere Gebäude, es wird also der Co2 Fußabdruck unserer Gebäude berechnet. Diese Berechnungen helfen uns in der Gestaltung Entscheidungen treffen zu können, den Fußabdruck des geplanten Gebäudes positiv beeinflussen. Manchmal ist dies eine Gestaltungsfrage, also eine Form–Frage und manchmal ist es eine Materialfrage.
Macht ihr das auch, damit der Bauherr eine Entscheidung treffen kann? Der möchte ja mitreden dürfen bzgl. Fußabdruck und vor allem Kosten. Oft ist das Thema Nachhaltigkeit ja leider auch eine Kostenfrage. Oder, was hast Du diesbezüglich für Erfahrungen gemacht?
Ja, auch für unsere Bauherren werden diese Berechnungen immer interessanter. Nachhaltigere Bauweisen können Mehrkosten, aber auch Ersparnisse bedeuten, wenn z.B. Materialien wiederverwendet werden oder Material effizienter eingesetzt wird. Grundsätzlich glaube und hoffe ich, dass die Taxonomie* in den kommenden Jahren vieles verändern wird. Durch die veränderte Vergabe von Krediten und das Honorieren nachhaltiger Bauweisen, werden neue Anreize für Bauherren geschaffen nachhaltige Projekte umzusetzen.
Das wäre ein wünschenswerter Ansatz! Vielen Dank für das interessante Gespräch!
* Anmerkung der Redaktion: Die Taxonomie ist ein EU-weit gültiges System zur Klassifizierung von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten. Sie soll Anlegerinnen und Anlegern Orientierung geben und Kapital für den grünen Umbau von Energieproduktion und Wirtschaft anreizen.Quelle: BMUV
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