Interview mit dem Gründungsdirektor Prof. Dr. Winfried Nerdinger über die Planung und Umsetzung des NS-Dokumentationszentrums.
Antoinette Schmelter de Escobar:
Der Weg zum NS-Dokumentationszentrum in München war extrem lang. Warum?
Prof. Dr. Winfried Nerdinger:
Die Auseinandersetzung mit dieser schwierigsten Zeit der deutschen Geschichte hat in ganz Deutschland sehr lange gedauert. Die ersten Dokumentationszentren sind in den 80er Jahren entstanden. Offensichtlich hat es ein bis zwei Generationen gebraucht, bis man bereit war, sich mit der Aufarbeitung dieser Epoche zu beschäftigen. In München hat es noch länger gedauert, weil hier alles begonnen hat und München mehr als jede andere Stadt mit dem Nationalsozialismus verknüpft war.
Sie haben sich von Anfang an sehr für ein NS-Dokumentationszentrum eingesetzt. Haben Sie während der Vorbereitungszeit irgendwann an diesem Vorhaben gezweifelt, weil die Widerstände so groß waren?
Ich bin ein zäher Mensch. Ich habe das Thema seit 1988 verfolgt und immer wieder angestoßen. Es freut mich, dass wir heute zu diesem Ergebnis gekommen sind, dass die gesamte Politik und Stadt-Gesellschaft dahinter stehen.
Sie waren ja nicht der einzige, der sich für das Projekt stark gemacht hat. Wie groß war die Gruppe der Befürworter?
Am Anfang waren wir ganz wenige. Erst im Lauf der 90er Jahre begann es, dass man sich in einzelnen Stadtteilen mit der Geschichte auseinandergesetzt hat. Erst um 2000 herum sind dann weitere Bürgerinitiativen entstanden, die sich zusammengeschlossen haben zu einem Initiativkreis, der das Ganze dann weiter vorangetrieben hat.
Ging es nach dem endgültigen Beschluss, das NS-Dokumentationszentrum zu bauen, im Gegensatz zur langen Wartezeit zuvor zügig voran?
2001 gab es einen Grundsatzbeschluss der Landeshauptstadt München, ein solches Dokumentationszentrum zu errichten. Dann hat es aber noch etliche Jahre gedauert, bis es 2008 zu einem Staatsvertrag kam und man die Finanzierung geregelt hat. In der Zwischenzeit ist das Thema ansatzweise mehrfach stark zerbröckelt.
Erstaunlich ist, dass das beschlossene Projekt dann innerhalb des vorgesehenen Zeit- und Kostenrahmens errichtet wurde, was man von anderen Groß-Vorhaben nicht behaupten kann. Insofern hatte das Ganze dann ja noch ein glückliches Ende, oder?
Ja, genau. Es waren 28,2 Millionen inklusive der Ausstellung kalkuliert. Das haben wir exakt eingehalten.
Standort, Architektur und Inhalt – sind diese drei Bereiche des Dokumentationszentrums gleichrangig?
Der Standort bestimmt natürlich den Inhalt. Wir sind hier an einem Täter-Ort, der ganz generell von München und dem Nationalsozialismus bestimmt wird. Das hat eine weitere Spezifizierung ergeben. Die Architektur als ein Zeichen der Moderne behauptet sich in dem historischen Ensemble. Dann haben wir eine Ausstellung umgesetzt, die sich nach der Architektur richten musste. Denn die war vorher da. Die Konzeption wurde entwickelt, als der Rohbau stand. Deswegen wurde sie sehr stark auf den Grundriss und die Möglichkeiten dieses Baus ausgerichtet.
Die Architektur ist auf der einen Seite sehr zurückhaltend, auf der anderen Seite ein klares Statement. Gab es genaue Vorgaben für die Berliner Architekten Bettina Georg, Tobias Scheel und Simon Wetzel?
Nein. Nur die, dass sie ein Zeichen der Moderne setzen sollen. Und dass weder Anpassung oder Wegducken erwünscht waren. Denn es gab durchaus auch Stimmen, die eine Verlegung des Ganzen unter die Erde forderten, weil man es gewohnt war, dass hier überhaupt kein Bau mehr war. Die Architekten haben das u.a. mit dem Material gemacht – dem Sichtbeton, der mit dem Naturstein und der Asymetrie kontrastiert. Ich glaube, das ist ihnen gut gelungen. Der Bau hat zwar einen gewissen störenden Charakter in diesem Ensemble, aber so soll es auch sein.
Wie stark war Ihr Einfluss darauf?
Der Bau ist bis zum Rohbau hochgezogen worden, als ich nichts weiter damit zu tun hatte und es eine andere Gründungsdirektorin gab, die ihr eigenes Konzept hatte. Ich bin erst 2011/2012 durch das Kulturreferat dazu geholt worden, nachdem ich vorher im wissenschaftlichen Beirat war. Zu diesem Zeitpunkt konnte man nur noch ganz, ganz wenig beeinflussen. Insofern musste ich mich mit dem Ausstellungs-Konzept stark nach dem Haus richten. Wenn es parallel gegangen wäre, hätte man sicher das eine oder andere besser verzahnen können. Aber ich habe es auch als große Herausforderung gesehen, in so einem fertigen Bau, der aufgrund der Materialität und einer gewissen Inflexibilität nicht so einfach zu bespielen ist, eine stimmige Ausstellung einzurichten.
Ist Ihr Haus im Vergleich mit den Dokumentationszentren in Berlin und Nürnberg ganz anders oder existieren Parallelen?
In Berlin ist alles ebenerdig, so dass die sich sehr ausbreiten können. Nürnberg ist in einem historischen Bau, hat also eine vollkommen andere Situation. Wir haben die historischen Bauten in der Umgebung und beziehen uns von innen nach außen auf sie.
Wer ist das Zielpublikum?
Alle interessierten Bürger – egal ob aus München, der Region, Deutschland oder international.
Wie sollen sie das Dokumentationszentrum erleben?
Bei einem Rundgang vom vierten Stock nach unten, worauf im Foyer hingewiesen wird. So etwas kennt man auch aus dem BMW- oder Guggenheim-Museum, wo man oben beginnt und sich runterschraubt, um bei uns in der Gegenwart zu landen.
Wie weit geht die Einbeziehung von Multimedia-Elementen in der Ausstellung? War es da auch wichtig, eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen?
Das passiert in der Ausstellung sehr begrenzt, weil alles, was interaktiv ist, für große Besuchermengen eher störend ist. Wenn sich hier einer hinstellt und anfängt zu spielen, blockiert er andere. Darum haben wir das meiste ins Lernzentrum nach unten verlagert.